Mordspech (German Edition)
da? Um den Wehrmachtsbunker? Ist St. Croix 222 ein Code? Für etwas, das dort lagert oder produziert wurde? Oder bedeutet das was ganz anderes? Ein Kürzel für das Dossier, das Enzo erwähnt hat?
Herrgott, ich komme so nicht weiter. Am besten wäre es, ich könnte Siggi befragen. Wo steckt der Kerl nur?
Als ich zu Hause ankomme, ist es später Abend, und mit der heraufziehenden Nacht verstärkt sich die Sorge.
Mensch, hoffentlich ist Siggi nichts passiert. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir um diesen Idioten einmal Sorgen machen muss. Wir haben uns nie gemocht. Und trotzdem will ich nicht, dass er stirbt. Dass er seinem Killer in die Hände fällt. Aber wie kann ich ihn schützen, wenn ich nicht weiß, wo er steckt?
Vielleicht meldet er sich ja noch. Hoffentlich. Sonst kann ich nichts tun. Nur warten. Oder soll ich ebenfalls an die Ostsee fahren? Einfach abhauen?
Nachdenklich schalte ich den Fernseher an. Im »heute-journal« berichtet Wolf von Lojewski von zusammenbrechenden Deichen bei Hohenglietzen und dass die Oder einen neuen Rekordpegelstand erreicht habe. Veranwortlich für das Desaster sei eine sogenannte Vb-Wetterlage mit anhaltenden Regengüssen in den Karpaten und im Riesengebirge.
Ich hole mir ein Bier aus der Küche und sehe meinen Anrufbeantworter blinken. Gleich mehrere Anrufe. Aber kein einziger von Siggi.
Zweimal hat Maren eine Nachricht hinterlassen, einmal Hugo und die anderen Kinderladeneltern. Sie wollen sich heute Abend um halb neun treffen, um das Problem mit Uta und Karl zu besprechen. Ich zucke mit den Schultern. Was gibt’s da zu besprechen? Das müssen die beiden Erzieher schon mit sich allein ausmachen.
Trotzdem ziehe ich mir meine Jacke an und schalte den Fernseher wieder aus. Ich habe ja sonst nichts vor. Meinen Fall bin ich los, und alles ist besser, als allein herumzusitzen, Katastrophenmeldungen zu gucken und sich um Siggi zu sorgen. Die Kinderladeneltern lenken mich wenigstens für ein paar Stunden ab.
Im Spätkauf besorge ich noch zwei Flaschen Riesling, bevor ich mich auf den Weg in die Vorbergstraße mache. Da wohnt Maren, in deren Wohnung das Treffen stattfinden soll. Keine fünf Fußminuten von meiner Wohnung entfernt.
»Ah, Dieter, gut, dass du noch kommst!« Maren begrüßt mich mit geröteten Wangen an der Wohnungstür und nimmt mir dankend die Flaschen ab. »Rein mit dir, wir sind schon mitten im Thema.«
In Marens Wohnzimmer ist es stickig. Man spürt die erhitzten Gemüter regelrecht. Fast alle sind da: Hugo Powileit, Richter am Amtsgericht, sitzt standesgemäß an der Stirnseite des schmalen Couchtisches, scheint jedoch mit der Diskussionsführung überfordert. Links von ihm hocken auf Sitzkissen Klaus und Bea Thurn; er ist Sozialpädagoge in einer Einrichtung für schwer erziehbare Jugendliche, und sie verdient ihr Geld als freiberuflicher Clown. So was gibt’s tatsächlich. Man kann sie mieten. Auch bei unseren Kindergeburtstagen hat Bea schon den lustigen Tollpatsch gegeben, und sie macht ihre Sache wirklich gut. Neben Klaus und Bea lehnt die alleinerziehende Jana Heidenreich in einem Schaukelstuhl und raucht Kette. Rechts auf der Couch drängen sich die Berufsschullehrerin Sabine Goltermann und der spanisch-deutsche Geschäftsmann Carlos Lederer, der sich mir mal als Eventmanager vorgestellt hat. Ich habe bis heute keine Vorstellung, was ein Eventmanager eigentlich tut.
Im Moment doziert er gerade von professioneller Mitarbeiterführung. Denn man sei nun mal, auch wenn das hier einigen nicht passe, Arbeitgeber. Man führe gemeinsam einen Kinderladen und habe Erzieher angestellt. Also sei man auch dafür verantwortlich, wenn die Chemie zwischen den Angestellten nicht stimme. Dann müsse man Führungskraft beweisen. Nachjustieren und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Wie die aussehen sollen, erzählt der Eventmanager nicht. Er kommt nicht dazu, weil alle gleichzeitig anfangen zu reden.
Von mir nehmen sie kaum Notiz, zu sehr sind alle mit ihren Emotionen beschäftigt. Was vermutlich auch mit den bereits geleerten Weinflaschen zusammenhängt, die auf dem Couchtisch stehen. Um da mithalten zu können, werde ich zügig nachtanken müssen. Ich setze mich in den einzigen freien Sessel, Hugo gegenüber, und schenke mir rasch ein Glas ein.
»’nabend, allerseits!« Erst mal was trinken und gleich wieder nachschenken. »Worum geht’s denn, Leute?«
Ah, endlich bemerken sie mich. Und quasseln sofort auf mich ein: dass Karl kündigen wolle, weil er mit
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