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Mordspech (German Edition)

Mordspech (German Edition)

Titel: Mordspech (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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er schon abhauen.
    Weit gefehlt: Der Hund bellte und jaulte und kratzte am Hoftor. So weckte er noch das ganze Haus und die Straße auf.
    Um Aufsehen zu vermeiden, gab Tante Tilly schließlich nach und ließ ihn ein. Dann saßen sie sich in der Diele gegenüber. Erschöpft und müde. Tante Tilly auf ihrer Telefonbank, der Hund auf dem Boden, mit schiefem Kopf und treuem Blick.
    So kommt man im eigentlichen Wortsinne auf den Hund, dachte sie. Indem man ihn einem Nazi abnimmt.
    Aber wie sollte das enden? Sie konnte bestimmt keinen Vierbeiner gebrauchen. Das war unmöglich. Ihr ganzes Sein war auf Unauffälligkeit gebaut. Kinder waren unauffällig. Nicht aber so ein Kampfhund. Damit war man alles andere, nur nicht unauffällig.
    »Nee. Das wird nicht gut gehen mit uns«, wiederholte Tante Tilly, als der Hund das Stöckchen brachte. »Ganz sicher nicht.«
    Sie kraulte dem Tier die Ohren. »Hast Hunger, was? Ich auch.« Sie warf das Stöckchen nun vom Ufer weg landeinwärts.
    »Auf geht’s! Nach Hause. Ich mach uns was zu futtern.«

29    ALTGRIEBEN ist ein typisches Straßendorf. Schattige Lindenbäume und niedrige Bauernkaten, manche grau mit abplatzendem Putz, andere frisch renoviert und gestrichen. Fast überall sieht man Geranien vor den Fenstern, blühende Zierstauden und Sonnenblumen im Garten. Es gibt auch ganz neue Häuser hier, erst kürzlich errichtete Eigenheime mit heruntergelassenen Jalousien.
    Kein Mensch ist zu sehen.
    Stattdessen verschlossene Fensterläden und vernagelte Türen. Sie sollen aber nicht vor den Hochwasserfluten schützen, sondern vor Einbrechern. Vor fast jedem Haus warnen selbst gemalte Schilder: »Finger weg!«, »Hier gibt es nichts zu holen« oder »Plündern lohnt sich nicht!« . Die Angst vor Räubern scheint groß zu sein.
    In der Mitte des Dorfes teilt sich die Straße um einen kleinen Anger. Hier gibt es einen Löschteich mit Seerosen drauf und ein paar grün getünchte Holzbänke drum herum. Und hier steht die Kirche. Ein mittelalterlicher Feldsteinbau mit Holzturm und Wetterhahn wie im Bilderbuch. Schräg gegenüber lockt ein kleiner Biergarten vor einem verrammelten Imbiss, der sich mit dem heute so häufig gewordenen falschen Apostroph »Conni’s Brutzelbude« nennt. Umgehend stoppt Hünerbein den Wagen und holt den Picknickkorb hervor.
    »Zeit zum Essen«, meldet er und richtet uns einen Tisch unter der riesigen Kastanie im verwaisten Biergarten her. Sogar ein kariertes Tischtuch hat er dabei. »Ein bisschen Stil muss sein«, singt er in Anwandlung auf den Roberto-Blanco-Gassenhauer, »dann ist die Welt voll Sonnenschein …« Er stellt Salatschüsseln und einen großen Teller mit Hähnchenkeulen auf den Tisch und macht eine einladende Handbewegung. »Greif zu! Ein hungriger Bauch hat keine Ohren.«
    Und die brauchen wir, wenn wir hier was erfahren wollen. Augen und Ohren. Ich nehme mir eine der Keulen und fange an zu essen. Dabei fällt mir das Schild an der Eingangstür von Connis Brutzelhütte auf. »Wegen Hochwasser bis auf Weiteres geschlossen«.
    Das habe ich mir fast gedacht, nur: »Wo ist das Wasser?«
    »Keine Ahnung.« Hünerbein schmatzt. »Mich interessiert mehr, wo der Bunker ist.«
    »Warum evakuieren die das Dorf?« Ich verstehe es nicht. »Wo ist die Gefahr?«
    »Das wird prophylaktisch sein. Vorbeugend. Noch steht der Deich, aber wenn er fällt, dann kommt das Wasser schnell. Schneller, als sie die Leute hier rauskriegen. Also bringen sie die Leute lieber rechtzeitig weg. Bevor das Wasser kommt, falls es kommt.«
    »Es wird nicht kommen!«
    Wir schauen auf. Vor uns steht der Pfarrer des Ortes. Ein junger sympathischer Mann, vielleicht Mitte dreißig. Man erkennt ihn an seiner protestantischen Robe.
    »Es wird nicht kommen?«, frage ich ihn. »Was macht Sie so sicher?«
    »Altgrieben liegt erhöht«, erklärt der Pfarrer. »Endmoräne. Wir befinden uns hier auf einer Hochfläche, die noch nie überflutet wurde. Südöstlich sieht das schon anders aus, aber hier …« Er schüttelt den Kopf. »Keine Gefahr.«
    »Und warum wurde der Ort dann evakuiert?«
    »Unfähigkeit. Panikmache. Hektischer Aktionismus.« Der Pfarrer setzt sich zu uns. »Und Unkenntnis der geografischen Verhältnisse. Sie ahnen ja nicht, was ich geredet habe mit den Verantwortlichen. Aber die blieben stur. Verordnung ist Verordnung, und die Leute mussten ihre Häuser verlassen. Ein Irrsinn, das alles. Völlig verrückt.«
    »Sie sind noch hier.«
    »Ja.« Der Pfarrer nickt. »Aber

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