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Mordspech (German Edition)

Mordspech (German Edition)

Titel: Mordspech (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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zugigen Turm. Er wird im Innern von einer großen, mit dem preußischen Adler verzierten Glocke dominiert. Sie trägt die Inschrift:
    VIVOS VOCO
    MORTUOS PLANGO
    PROTEGAT NOS DEUS
    »Unsere Kirchenglocke wurde 1762 von der Gießerei Johann Friedrich Thiele zu Berlin gestiftet«, erklärt der Pfarrer und lacht. »Im Auftrag des preußischen Königs. Der Alte Fritz war durch das ›Wunder des Hauses Brandenburg‹ zum gläubigen Menschen geworden und hat vielen Kirchen in der Gegend neue Glocken spendiert.«
    Ich erinnere mich. Das hatten wir im Geschichtsunterricht, achte Klasse: Siebenjähriger Krieg, die Schlacht bei Kunersdorf 1759. Das preußische Heer war von den zahlenmäßig stark überlegenen russisch-österreichischen Truppen vernichtend geschlagen worden. Der König dachte über den Freitod nach, die feindliche Einnahme Berlins schien nur noch eine Frage von Tagen. Doch dann zerstritten sich die Österreicher mit den Russen und zogen unverrichteter Dinge ab. Der Angriff blieb aus. Preußen war gerettet. Diese unglaubliche Wende ging als »Mirakel des Hauses Brandenburg« in die Annalen ein. Das hat mich fasziniert damals. Mit meinen Zinnsoldaten spielte ich die Geschichte wieder und wieder nach. Zum Ärger mancher Mädchen, die anderes mit mir vorhatten und schließlich verärgert abzogen.
    Unter uns breitet sich das westliche Oderbruch aus. Dichte Wälder, wogende Felder und saftige Wiesen. Von einem Flugplatz ist jedoch nichts zu sehen.
    »Achten Sie auf die Straße.« Der Pfarrer zeigt auf die Dorfstraße, die in einem lang gestreckten Bogen aus dem Ort führt, bevor sie fast schnurgerade die Felder zerteilt. »Fällt Ihnen da was auf?«
    Nicht wirklich.
    »Es fehlen die Alleebäume«, hilft uns der Pfarrer auf die Sprünge, »was ungewöhnlich ist für unsere Gegend. Normalerweise gibt es hier kaum eine Landstraße, die nicht von schattenspendenden Bäumen gesäumt wird. Doch da unten fehlen sie auf knapp sechshundert Metern.«
    »Damit dort Flugzeuge landen können?«
    »Richtig«, nickt der Pfarrer, »das wurde so schon von der Wehrmacht angelegt.« Sein Arm wandert weiter südlich zu einem Wald. »Denn dort drüben befand sich im letzten Krieg eine unterirdische Produktionsstätte der Nazis.«
    »Interessant.« Hünerbein stellt sich ahnungslos. »Was haben die denn da produziert?«
    »Waffen«, antwortet der Pfarrer. »Munition für den Endsieg. Deshalb war es so wichtig, dass es hier eine Landepiste für größere Transportflugzeuge gibt. Damit konnten sie das Zeug gleich an die Front fliegen.«
    »Und nach dem Krieg?«
    »Da wurden die Bunker und Anlagen von den Russen weitergenutzt. Genaues weiß man nicht, aber die Leute munkeln, dass sie dort ein geheimes Führungszentrum oder so was hatten. Bis zum Abzug der Sowjets war das ganze Gebiet weiträumig abgesperrt. Da konnte keiner hin.«
    »Und jetzt?« Hünerbein platzt bald vor Ungeduld. »Kommt man jetzt dahin?«
    »Zur alten Bunkeranlage im Wald?« Der Pfarrer schüttelt den Kopf. »Nein. Das ist immer noch abgesperrt. Es gibt einen Zaun. Vor ein, zwei Jahren wurde er mit neuen Warnschildern versehen. Munitionsverseuchtes Gebiet. Ich denke nicht, dass man da herumklettern sollte.«
    »Wird das Gelände bewacht?«
    »Keine Ahnung«, erwidert der Pfarrer, »ich war lange nicht dort.«
    Mir fallen Enzos Paramilitärs wieder ein. Und der Umstand, selbst unbewaffnet zu sein. Denn natürlich werden wir uns das »munitionsverseuchte Gebiet« ansehen müssen. Wir haben zwar Schutzkleidung und Gasmasken dabei, aber keine Waffen. Das könnte zum Problem werden, denke ich. Oder auch nicht. Nein, ganz sicher nicht. Waffen tragen nie zur Deeskalation bei.
    »Sardsch.« Hünerbein starrt mit zusammengekniffenen Augen auf die Landstraße. »Siehst du diese Baulampen auch?«
    Tatsächlich sind links und rechts des baumlosen Straßenabschnitts in regelmäßigen Abständen gelbe Bauleuchten aufgestellt. Es müssen Hunderte sein.
    »Damit markieren sie die Landebahn«, weiß der Pfarrer, »damit das Flugzeug den Weg findet.«
    »Welches Flugzeug?«
    »Na, so eine große Propellermaschine«, antwortet der Pfarrer. »Sie ist heute Nacht hier gelandet. Wahrscheinlich ein Frachtflugzeug von der Bundeswehr. Die haben irgendwas gebracht oder geholt. Schweres Gerät zur Bekämpfung der Oderflut, nehme ich an. Genau weiß ich es nicht. Ich bin von dem Lärm aufgewacht, doch bis ich angezogen war und aus dem Haus, sind die schon wieder gestartet. Ich habe den Flieger nur

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