Mordspech (German Edition)
blinzelte in die Sonne und gähnte zufrieden. Die Erholung hier draußen tat ihr gut, keine Frage. Einfach mal nichts tun und ab und zu wegdämmern. Wie lange sie wohl geschlafen hatte?
Zwei Stunden bestimmt. Vielleicht sogar drei. Frische Luft machte müde, und die Sonne stand schon ziemlich weit westlich. Ihr Licht glitzerte im Wasser des Barther Boddens, und hinter dem flachen Landstrich der Halbinsel Zingst verschmolz die Ostsee mit dem unwirklich blauen Himmel.
Herrlich. Monika war viel zu selten hier. Der Wind rauschte in den Bäumen, und es war warm, fast dreißig Grad, richtiger Hochsommer. Hier oben schien das Wetter zu stimmen. Seit ihrer Anreise hatte es noch nicht geregnet.
Weil wir am Meer sind, sagten die Leute in Barth. Regen kommt immer vom Land, doch über der See verdunsten die Wolken. Wir hatten hier keinen so nassen Sommer wie ihr in Berlin.
Morgen wollte Monika mit den Kindern zum Strand fahren. Da war viel los, es gab Eis, Musik, hektische Bademeister und eine geschätzte Million Strandkörbe. Alle belegt. Viel zu viel Trubel eigentlich. Aber Monika hatte so eine zeltartige Strandmuschel, die vor Sonne und Wind schützte, und die Kinder wollten baden, Bernstein suchen, Sandburgen bauen, das ganze Programm. Wozu war man schließlich an der Ostsee?
Heute war jedoch Ruhe angesagt. In der Sonne liegen, lesen. Später vielleicht ein Glas Wein.
Sie richtete sich etwas auf und schob sich die Sonnenbrille auf die Nase.
Über den Bodden tuckerte der olle Piet mit seinem Kutter und winkte ihr zu. Die Nacht über würde er auf dem Meer bleiben und fischen. Frischer Hering, Scholle und Kabeljau für Birgits Imbiss im Barther Hafen. Und nirgendwo sonst gab es eine so herrliche Fischsuppe. Das Abendbrot morgen war gerettet.
Heute dagegen blieb die Küche kalt. Monika hatte noch Kartoffelsalat im Kühlschrank und ein paar Wiener Würstchen. Das musste erst gegessen werden. Und außerdem hatte sie keine Lust zu kochen. Sie wollte einfach mal nichts machen. Nur lesen.
Wo war eigentlich dieses Buch, das sie von zu Hause mitgenommen hatte? Es war ihr im Bücherregal aufgefallen, weil sie es noch nicht kannte, und deshalb hatte sie es eingesteckt.
Irgendeine Geschichte von zwei Liebenden auf den kleinen Antillen. Genau das Richtige für einen dösigen Sommertag. Vermutlich hatte Dieter dieses Buch genau dafür gekauft. Ein Buch über Liebe und Eifersucht in der Karibik. Auf den Westindies, wie es im Roman hieß, den Inseln über dem Winde. Eine davon war Saint Croix. Früher gehörte sie zu Dänemark, und in dieser Zeit spielte auch der Roman. Sehr romantisch.
Monika fand das Buch auf dem Terrassenboden und schlug es auf. Seite zweihunderteinundzwanzig, gerade hatte der Held mitbekommen, dass er gehörnt worden war. Von seinem besten Freund. Verrat! Er schäumte vor Wut und schmiedete Rachepläne.
Welcher Art diese waren, konnte Monika nicht mehr lesen. Denn Seite zweihundertzweiundzwanzig war seltsamerweise überklebt. Mit einem sehr dünnen Pergamentpapier, sodass es einem erst auffiel, wenn man die Seite aufschlug.
Komisch. Mit den Fingernägeln löste Monika das Papier sehr vorsichtig von der Buchseite und hatte plötzlich einen kleinen schwarzen Zelluloidstreifen in der Hand. Sie hielt ihn ins Sonnenlicht und kniff die Augen zusammen. Aber sie konnte nichts erkennen.
Dennoch wusste sie, dass es ein Mikrofilm war. Irre! Agenten verwendeten so was, um geheime Dokumente abzulichten. Was war auf diesem Mikrofilm drauf? Und wer hatte ihn hier zwischen die Buchseiten geklebt?
36 SUSANNE BAIER zitterte am ganzen Leib, als sie aus dem Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam kam. Sie hatte Angst. Furchtbare Angst. Todesangst!
Auf ihrem Grundstück am Schwielowsee war ein Patient von ihr hinterrücks angegriffen worden. Es war auf ihn geschossen worden! Mit einer richtigen Waffe!
Bislang hatte sie die Geschichten des Siegbert Meyer für eine Art Neurose gehalten, für einen Wahn. In ihre Praxis kamen so viele Leute, die sich verfolgt wähnten, beobachtet und bedroht. Aber das waren immer stets Symptome einer Überforderung. Zu viele Reize, Stress, die Zivilisation. Die Menschen kamen nicht mehr klar mit ihrer Rolle in einer Welt, die sie nicht mehr verstanden. Einer Welt, die keine Fehler duldete, in der man perfekt funktionieren musste und Versagen als ein verabscheuungswürdiges Manko galt.
Dabei schaffte doch gerade die Erfahrung des Scheiterns erst die Voraussetzung dafür, später in
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