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Mordsschock (German Edition)

Mordsschock (German Edition)

Titel: Mordsschock (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hoffmann
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damit um?“
    „Oh, darüber spricht er nicht.“ Die Ziegler senkte ihre Stimme zu einem bedauernden Flüstern. „Die Rosenhagener sind leider intolerant. Sie würden niemals eine Schwuchtel zum Bürgermeister wählen.“
    Von Stetten lebte seine Homosexualität also im Geheimen aus. Sein gutes Recht. Es wusste auch niemand, was Huber im Dunkeln mit seiner Frau so trieb.
    „Ein netter Mensch, aber er hat Pech“, verkündete sie unheilvoll drohend mit gekrauster Stirn und traurig glitzernden Augen. „Was haben wir mit der alten Frau Kerstein gelitten, als Sebastian in den Frrreitod ging.“ Das Wort ‚Freitod‘ gefiel ihr. Sie dehnte es wie Kaugummi in die Länge.
    „Sebastian? Der junge Politiker, der als Erster in der Kieskuhle ums Leben kam?“
    Die Ziegler nickte. „Seine alte Kinderfrau Annette Kerstein wohnt um die Ecke. Das rrrote Haus am Ende der Straße. Oh, was habe ich mit ihr geweint!“ Angesichts ihrer mitfühlenden Ader wiegte sie sich in den Hüften.
    „Kannten Sie Sebastian?“
    Anscheinend nicht, denn die Diva fand es mal wieder unnötig, meine Frage zu beantworten. „Und nun dieses Unglüüück in von Stettens Partei. Ein junges Leben stürzt sich in den Tod.“ Die Ziegler wischte mit einem leisen Aufschrei nicht vorhandene Tränen aus ihren Augen. Jede Lebenssituation bot ihr eine neue Rolle an, die sie eindrucksvoll zu inszenieren gedachte. Alles Plastik!
    Die Chance, mit Sebastians alter Kinderfrau zu sprechen, ließ ich mir nicht entgehen. Wenn ich eine knappe halbe Stunde dranhängte, würde Wagner nichts merken. Dass die Ziegler kein Easy-Going-Interviewpartner war, musste er schlucken.
    Das rote Backsteinhaus am Ende der Straße sah putzig aus. Zierlich ragte das spitze Dach knapp über die hohe Dornenhecke, in der Spatzen tschilpend hin und her huschten. Mit seinem verwilderten Vorgarten, in dem alles bunt durcheinander blühte, und den roten Kletterrosen an der Fassade erinnerte es ein bisschen an ein englisches Cottage. Eine von Efeu umsponnene blaue Gartenbank unter zwei knorrigen Apfelbäumen, die ihre Zweige wie zum Tratsch zusammensteckten, lud zum Verweilen ein. Hinter den blankgeputzten Fensterscheiben des Häuschens blinzelten Alpenveilchen der gesamten Farbskala von weiß, rosé über lila bis hin zu dunkelrot. Auf dem handgetöpferten Türschild mit verschlungenen Blumen stand der Name ‚Annette Kerstein‘, den die Ziegler erwähnt hatte.
    Köstlicher Geruch nach frisch gebackenem Kuchen strömte in meine Nase, als sich die Tür öffnete.
    Annette Kerstein war so klein, dass ich im ersten Moment über ihren dunkelgrauen Pagenkopf hinweg in den mit antiken Bauernmöbeln eingerichteten Flur blickte. Der strahlte im Einklang mit dem verlockenden Duft auf Anhieb Gemütlichkeit aus. Ich ging ein wenig in die Knie, um in ihr freundliches Gesicht zu schauen.
    Es passte. Ihre grauen Augen guckten mich mit der gleichen Wärme wie ihr drolliges kleines Haus an. Und sie roch nach Zimt und Kardamom. Gedanken an Weihnachten meiner Kinderzeit erwachten.
    Annette Kerstein war eine Frau in den Siebzigern. Im Laufe der Jahre hatten ihre Schultern an Straffheit eingebüßt, sie hingen ein wenig, was ihre Statur weiter dem Erdboden entgegenwachsen ließ, aber ihr Gang war elastisch wie der eines jungen Mädchens. Mit leichten Schritten trippelte sie auf ihren winzigen Füßen, die in Kinderschuhen steckten, vor mir her ins Wohnzimmer. Ihre Stimme zwitscherte munter. Emsig schwirrte sie um mich herum, bis ich in einem gemütlichen Ohrensessel mit Schottenmuster saß, eine Tasse Kaffee und ein großes Stück goldgelben Napfkuchen vor mir stehen hatte und der Kerzenleuchter auf dem marmornen Kaminsims den behaglichen Raum in weiches Licht tauchte. An den mit einer zarten Blümchentapete aus ineinander verschlungenen Rosenranken geschmückten Wänden, die in anderer Umgebung rüschig gewirkt hätten, hingen Bilder verschiedener Kinder.
    „Meine Lieblinge! Jetzt sind sie alle groß. Sie besuchen mich oft. Sie sind mir wie eigene Kinder ans Herz gewachsen.“ Frau Kerstein sprach schlicht, aber eindrucksvoll. So wie ihr ganzes Wesen zu sein schien. Auf der Straße könnte man die zierliche Person glatt übersehen, was ein großer Verlust wäre.
    Sie reichte mir eines der Kinderbilder in einem Messingrahmen, auf dem ein kleiner blondgelockter Junge von ungefähr fünf Jahren schüchtern in die Kamera guckte.
    „Sebastian.“ Sie seufzte leise. Ein leichter Schleier trübte ihre Augen,

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