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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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mir dachte, daß ihre Motive dafür genausoviel damit zu
tun hatten, alle Einzelheiten zu erfahren, wie mit meinem Wohlbefinden. Sie
sagte, ich sähe schlimm aus, und machte mehrere Tassen Tee für mich, bevor sie
sich wieder ihrer Arbeit widmete. Sie saß an meinem Schreibtisch und benutzte
zum ersten Mal das TextVerarbeitungsprogramm des Computers, weil sie für alle
Klienten den gleichen Brief schreiben mußte. Nach einer Weile sagte sie:
»Fantastisch, dieser Apparat.«
    Ich nickte, den dargereichten Ölzweig stumm
annehmend.
    »Ist Anthony da?« fragte ich.
    »Ja, aber er hat seine Tür zugemacht«, sagte sie
feierlich.
    »Das kann ich selber sehen!«
    »Geistreiche Bemerkungen sind da fehl am Platz.
Ich glaube, er hat Schwierigkeiten, die Dinge zusammenzuhalten. Gestern hatte
er seine Tür auch geschlossen. Er sagte, er würde die Klienten anrufen, aber
seine Augen sahen mir sehr gerötet aus. Sie waren sich sehr nahe, weißt du«,
fügte sie gedämpft flüsternd hinzu und hob die Hand mit zwei gekreuzten
Fingern.
    »Du willst doch nicht sagen...«
    »Nun, ich habe es nie offiziell gehört, aber es
würde mich nicht wundern.«
    »Aber, aber... Agatha war so viel kultivierter.«
    Die Worte waren heraus, noch bevor ich die
Chance hatte, sie zu zensieren. Wenigstens sagte ich nicht auch noch, daß ich
immer angenommen hatte,Janet hätte selbst eine Affäre mit Anthony.
    »Meinst du älter? Ich glaube nicht, daß es mehr als
fünf Jahre sind. Anthony sieht natürlich viel jünger aus.«
    Ich konnte nicht recht zustimmen. Ich dachte von
Agatha als ziemlich zeitlos und von Anthony als einem Mann in seinen frühen
Fünfzigern, der versuchte, jünger auszusehen. Aber es hatte keinen Sinn, das
weiter zu diskutieren. Janet hatte offenbar den Eindruck, die Beziehung, oder
was es auch immer gewesen war, zwischen Agatha und Anthony habe zwei Seiten und
daß sie auf seiner stand. Ich entschloß mich, meine Stellung in Agathas Büro zu
beziehen, da Janet an meinem Schreibtisch saß, und ich nicht wollte, daß sie
irgend etwas von ihrer neuentdeckten Liebe zum Computer ablenkte.
    Ich konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken,
daß Anthony und Agatha eine Affäre gehabt hatten. Die Vorstellung stieß mich
ziemlich ab. Sie hätte sich doch sicherlich sich einen Besseren suchen können.
Oder vielleicht auch nicht. Ich begann, von ihr als einem Menschen zu denken,
der ein ziemlich leeres Leben gelebt hatte, bei allem Glamour an der
Oberfläche. Der Schock darüber, daß sie sich entschieden hatte, es zu beenden,
wurde langsam geringer.
    Ich starrte in ihrem Büro herum. Mir kam der
Gedanke, daß all die Danksagungen und Fotografien an der Wand, die ich vorher
so reizvoll gefunden hatte, vielleicht nichts anderes waren als Requisiten, die
einer leeren Seele Auftrieb geben sollten. Was hatte Agatha denn am Ende mehr
zustande gebracht, als anderen Leuten zum Erfolg zu verhelfen? Es war ein
Dasein aus zweiter Hand. Scheinbar gesellig, aber letztendlich doch einsam. Hier
stand ihr enormer viktorianischer Schreibtisch mit den Schubfächern, der sie
von ihren Klienten trennte, Symbol für Macht und Distanz. In dem kalten
Zwielicht eines Wintertages hatte das Büro nichts Gastliches. Die Blasenlampe
war abgestellt, ihr Glaskolben mit bewegungsloser malvenfarbiger und grauer
Flüssigkeit angefüllt.
    Ich saß in dem Sessel, auf dem Chutney immer
seine Tage schlafenderweise verbracht hatte, und dachte darüber nach, wie wenig
man andere Leute überhaupt je wirklich kennt. Ich hatte Agatha bei zahllosen
Anlässen meinen Freunden beschrieben, dabei Wörter gebraucht wie individuell,
selbstbewußt, geistreich und, wenn sie mich angekotzt hatte, arrogant,
egoistisch, rechthaberisch. Jetzt hatte ich so viele widerstreitende
Vorstellungen von ihr, daß ich mir im Geist kein Bild einprägen konnte, außer
dem von ihr im Koma, das sich mir immer wieder aufdrängte, wenn ich es am
wenigsten erwartete, und mich vor Schauder schlucken ließ.
    Ich dachte über die sonderbare Kette nach, die
wir anscheinend zwischen uns geschmiedet hatten, und über den merkwürdigen
Zufall, daß sie meinen Vater besser gekannt hatte als ich. In Anbetracht
dessen, daß wir für bloße zwei Monate miteinander bekannt gewesen waren, hatte
ich mich ihr erstaunlich nah gefühlt, als sei sie ein Teil meines Lebens und
sei es immer gewesen. Aber das alles war nur meine Vermutung, denn ich hatte
sie überhaupt nicht richtig gekannt, hatte nicht das Leid verstanden, das

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