Mordsviecher
über den Tisch. »Ich hab ein bisschen drin gelesen. Komisch ist das schon.«
Ja, in der Tat, dachte Irmi. Frau Stowasser war die Treppe des Reiterstüberls auf dem Anwesen von Anton Gangkofer hinuntergestürzt und hatte sich das Genick gebrochen. Die Akte umfasste auch Bilder und Lageskizzen. Gangkofer hatte einen Stadl in eine Reithalle umfunktioniert und an der Stirnseite ein kleines Stüberl eingebaut, inklusive einer sehr steilen Himmelsleiter, die Frau Stowasser direkt in die Hölle befördert hatte. Frau Stowasser hatte 1,7 Promille Alkohol im Blut gehabt – gut, da ist man natürlich nicht mehr so trittsicher. Den Fall hatte damals die Polizei in Weilheim bearbeitet, weil das Grundstück von Gangkofer schon jenseits der Landkreisgrenze lag. Man hatte die Anwesenden befragt, die alle angegeben hatten, dass es eine kleine Stallfeier gegeben hatte. Vor dem Hintergrund der EIA -Geschichte fand Irmi es schon sehr bizarr, dass Frau Stowasser ihre verbliebenen vier Pferde wohl zu Gangkofer gestellt und da ein halbes Jahr später gefeiert hatte. Jedenfalls war das ein Unfall gewesen, Akte zu, Klappe zu, Frau Stowasser tot!
Irmi schüttelte den Kopf. »Wirklich eine komische G’schicht. Zufall?«
»Du glaubst doch nie an Zufälle!«, rief Andrea.
»Nein, sehr selten. Ich glaub auch nicht an Schicksal und Vorherbestimmung. Das sind doch nur faule Ausreden, das eigene Leben nicht in die Hand zu nehmen«, sagte Irmi.
»Na ja, also, ich weiß nicht …«, meinte Andrea.
Irmi musste innerlich grinsen. Andrea widersprach ihr, das war ja mal ein gutes Zeichen von aufkeimendem Mut.
Irmi sah auf die Uhr. »Du gehst heim, damit die Liste deiner Überstunden nicht ins Unendliche wächst. Ich schau am Wochenende vielleicht mal bei diesem Gangkofer vorbei, und am Montag knöpfen wir uns den Hundegger vor mit seinen kultigen Radlhosen.« Sie überlegte kurz. »Ich nehm dich mit zu Gangkofer, wenn dir das recht ist. Ich hab von Pferden keine Ahnung, nur von Kühen. Das sind nette Wiederkäuer, Pferde erscheinen mir ungleich komplizierter.«
»Au ja«, sagte Andrea, verabschiedete sich wenig später und verschwand.
Irmi verließ Garmisch in einer Karawane von Autos und beschloss, in Oberau noch einkaufen zu gehen, um den vereinsamten Kühlschrank mit etwas Leben zu füllen. Eine Urlauberfamilie hatte ihren Einkaufswagen dermaßen überladen, dass Irmi sich besorgt fragte, ob ein Notstand ausgebrochen war und sie das irgendwie nicht mitbekommen hatte.
»Kategorie Fewo total«, pflegte Lissi dazu zu sagen. Ihre Nachbarin vermietete zwei Ferienwohnungen und hatte immer wieder Gäste, die dem lokalen Bäcker nicht mal ein paar Euro gönnten, sondern ihre eingeschweißten Aufbacksemmeln mitbrachten und niemals auf die Idee gekommen wären, essen zu gehen. Lissi hasste es, wenn sie bei der Endreinigung die öligen Küchenschlachten zu beseitigen hatte. »Himmel, da kochen die Weiber daheim Jahr und Tag, und im Urlaub langt’s ned amoi für a Pizza.«
Irmi kaufte eher spärlich ein und beschloss, bei Lissi vorbeizufahren. Es hing eine feuchte Schwüle über dem Moos, und Lissi wirbelte gerade in ihrem Kräutergarten, hatte rote Wangen und erdige Hände, strahlte wie immer und schaffte es, Irmi allein durch ihre Anwesenheit fröhlich zu stimmen. Sie fragte auch nicht nach Irmis Arbeit, sondern dirigierte sie in eine neu gestaltete Gartenlaube, wo sie kunstvoll Weiden so verflochten hatte, dass sie unter einem luftigen Tipi saßen.
Lissi brachte Prosecco, der wie immer zu süß war, und erzählte Geschichten aus dem Dorfleben, wer mit wem, welche Hochzeiten anstanden und welche Scheidungen. Das Leben konnte so angenehm sein.
Es war längst dunkel und bayerisch frisch, als Irmi heimging. Die beiden Kater waren wohl auf der Pirsch, zumindest war keiner von ihnen zu sehen. Beim Einschlafen hörte sie es wieder grollen. Ein neues Gewitter zog heran.
9
Irmi erwachte durch einen jähen Schmerz in der Zehe. Aua! Und nochmals aua! Sie zog ihren Fuß hektisch weg und hörte ein strafendes Zischen. Der kleine Kater liebte es, Zehen zu jagen, und er war wohl der Meinung, dass Irmi mal aufstehen könnte. Es war ja auch schon sieben. Ganz schön spät, eigentlich hatte sie noch in den Stall gehen wollen.
Stattdessen machte sie sich auf in die Küche, kochte Kaffee, legte Brot in den Toaster, der sicher so alt war wie sie selbst. Er hatte noch ein dickes, mit Isolierband umwickeltes Kabel, das an einem fetten Stecker endete, aber er
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