Mordswald - Hamburgkrimi
ehe er sagte:
"Franziska Leyhausen wurde heute Morgen tot im Jenischpark
aufgefunden."
Vogler sagte nichts. Lina beobachtete ihn, wie er erneut
nachdenklich seine Fingernägel betrachtete. "Wann … und wie ist sie denn
gestorben?", fragte er schließlich, ohne aufzublicken. Lina fröstelte.
"Sie starb Dienstagabend, sie wurde umgebracht."
Vogler hob den Kopf und sah erst Max, dann Lina an. "Sie
haben sie doch gestern gesucht, oder? Dann war sie da also schon tot?"
"Sieht ganz so aus."
"Wissen Sie schon, wer es war?"
Als weder Max noch Lina seine Frage beantworteten, zuckte
Vogler die Schultern und widmete sich erneut der Betrachtung seiner
Fingernägel.
"Herr Vogler", sagte Max leise, "es ist nur
eine Frage der Zeit, bis die DNA-Spuren der Tatorte ausgewertet sind."
Daniel Vogler reagierte nicht.
Lina verdrängte das unbehagliche Gefühl, das der Mann in ihr
hervorrief, und betrachtete die hagere Gestalt, das blasse Gesicht und die
strähnigen Haare. Sie versuchte, sich Franziska Leyhausen mit diesem Mann
zusammen vorzustellen. "Wie haben Sie Frau Leyhausen eigentlich kennengelernt?",
fragte sie.
Vogler sah sie an. "Über eine Kontaktbörse im
Internet." Erneut zuckte er die Achseln. "Wir haben es eine Weile
miteinander probiert, aber es hat einfach nicht geklappt."
"Wer von Ihnen hat die Beziehung beendet?"
"Wir beide", erklärte Vogler, "in bestem
Einvernehmen, wie es so schön heißt."
"Aber danach sind Sie Freunde geblieben?" Als
Vogler nickte, fuhr sie fort: "Wie häufig haben Sie sich seitdem
gesehen?"
"Etwa alle ein, zwei Wochen. Wir sind ins Kino gegangen,
auf Konzerte, so etwas."
"Hat Frau Leyhausen mit Ihnen über die Ereignisse vom
letzten Donnerstag gesprochen?", fragte Max.
"Nein. Sie rief mich Mittwoch letzter Woche an und
fragte, ob ich Lust auf das Konzert in der Waldschänke hätte. Das war das
letzte Mal, dass ich mit ihr gesprochen habe." Er klang seltsam unberührt
vom Tod einer guten Freundin – oder die Nachricht war noch nicht richtig
zu ihm durchgedrungen.
"Herr Vogler", fragte Max, "können Sie sich
noch an Julia Munz erinnern?"
Gänzlich unbeeindruckt von dem plötzlichen Themenwechsel
sagte er: "Ja."
"Was für ein Verhältnis hatten Sie zu ihr?", fragte
Max.
"Wir gingen eine Zeit lang zusammen in eine Klasse. Sie
war eins von diesen dummen Mädchen, die nur rumkichern und nichts als Partys im
Kopf haben." Vogler zuckte die Achseln. "Wir hatten nicht viel
miteinander zu tun."
"Hat sie Sie nicht manchmal geärgert? Gehänselt?
Gemobbt, wie man heute sagen würde?", bohrte Lina nach.
Vogler machte eine wegwerfende Handbewegung. "Klar, ein
paar blöde Sprüche kamen immer mal. Für Leute wie Julia war ich der Streber,
die kamen nicht damit klar, dass ich tausendmal mehr auf dem Kasten hatte als
sie."
"Und wie genau wurden Sie damals von Ihren
Klassenkameraden gemobbt?", wollte Max wissen. "Was haben die anderen
getan oder gesagt?"
Zum ersten Mal schien Vogler ernsthaft über eine Frage
nachzudenken. "Das ist schon so verdammt lange her, keine Ahnung. Es kamen
eben ab und zu so Sprüche, aber ich kann mich nicht mehr erinnern." Er
zuckte die Achseln. "Im Nachhinein war es auch nicht wirklich wichtig.
Kinderkram."
Lina kritzelte auf ihrem Notizblock herum. Für ihren
Geschmack klang Vogler ein wenig zu abgeklärt. Sie erinnerte sich an den
Jungen, der in ihrer eigenen Klasse das Pech hatte, die Rolle des Strebers und
schwarzen Schafs aufgedrückt zu bekommen. Noch jetzt, nach mehr als fünfzehn
Jahren kamen ihr manche der Streiche, die man ihm gespielt hatte, alles andere
als harmlos vor. Der Junge hatte immer außerhalb des Klassenverbandes
gestanden, und egal, was er versucht hatte, er hatte nie richtig dazugehört.
Aber reichte dieses Gefühl des Ausgeschlossenseins als Motiv
für einen Mord aus? Und was für einen Grund hätte Vogler gehabt, Franziska
Leyhausen zu töten?
Die Luft in dem kleinen Raum war stickig, und Lina unterdrückte
den Impuls, zu gähnen. Max räusperte sich, nickte entschlossen und sagte:
"Gut, Herr Vogler. Ich denke, das war's fürs Erste. Morgen werden wir uns
weiterunterhalten." Morgen, wenn die ersten Ergebnisse der
Hausdurchsuchung da waren und mit etwas Glück Neuigkeiten aus der
Kriminaltechnik.
"Dann kann ich also jetzt nach Hause fahren?"
Daniel Vogler machte Anstalten, sich zu erheben.
"Da muss ich Sie leider enttäuschen", sagte Max.
"Sie werden die Nacht hier bei uns verbringen." Er klang, als täte es
ihm tatsächlich leid.
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