Mordswald - Hamburgkrimi
"Morgen sehen wir dann weiter."
Zum ersten Mal machte Daniel Vogler ein entgeistertes
Gesicht.
"Und, was meint ihr?", fragte Hanno kurz darauf. Er
fläzte sich mit hinterm Kopf verschränkten Armen in seinem Schreibtischsessel,
hinter ihm jagten dramatisch dunkle Wolken wie in Zeitraffer über einen
dämmrigen Abendhimmel.
Lina verzog das Gesicht. "Irgendwie unheimlich, der Typ.
Und wir haben bislang keine Beweise dafür, dass er etwas mit den Morden zu tun
hat. Nur die auffällige Tatsache, dass er sowohl Philip Birkner als auch
Franziska Leyhausen kannte."
"Und Julia Munz", fügte Max hinzu.
"Aber warum hätte er die Leyhausen umbringen
sollen?", fragte Hanno.
"Möglicherweise wusste sie, dass er seinen
Ex-Klassenkameraden und Ex-Arbeitgeber getötet hat?", schlug Lina vor.
"Vielleicht hat sie ihn am Donnerstagabend gesehen? Oder er hat sich
verplappert?"
Hanno wippte auf seinem Stuhl und runzelte die Stirn.
"Du hast doch mit dieser Freundin von Frau Leyhausen geredet, Barbara
Sowieso", sagte er schließlich zu Lina. "Sprich noch mal mit ihr,
vielleicht hat Leyhausen ihr erzählt, mit wem sie noch über den Donnerstagabend
geredet hat." Er sah auf die Uhr. "Neun Uhr. Wo steckt denn Alex
eigentlich?"
Wie sich herausstellte, war Alex von Voglers Wohnung aus
direkt nach Hause gefahren. Als Hanno ihn über Handy anrief, saß er gerade mit
seiner Familie beim Abendessen. Mit halb vollem Mund erklärte er, die
Durchsuchung habe nichts Wichtiges ergeben, jedenfalls nichts, was nicht bis
morgen Zeit hätte. Kein blutverschmiertes Stahlrohr, keine schmutzstarrenden
Schuhe in Größe 44, obwohl Vogler tatsächlich diese Schuhgröße hatte.
Als Hanno auflegte, murmelte er etwas über eigenwillige
Untergebene und starrte Max und Lina finster an.
Lina grinste. "Was willst du? Ich tue doch immer brav,
was du sagst."
16
M ax stand vor dem Hochhaus in
der Bundesstraße und schaute an der schmutzig-beigen Fassade hoch. In diesem
Gebäude waren mehrere Fachbereiche der Universität Hamburg untergebracht,
darunter auch die mathematische Fakultät, an der Daniel Vogler beschäftigt war.
Kopfschüttelnd wandte Max den Blick von dieser Scheußlichkeit aus den siebziger
Jahren ab und betrat das Foyer. Er brauchte eine Weile, bis er auf dem großen
Übersichtsplan gefunden hatte, was er suchte. Im dritten Stock stand er
schließlich vor der Tür, hinter der sich laut Schild das Sekretariat des
Fachbereichs befinden sollte, doch leider war die Tür verschlossen. Seufzend
sah Max sich in dem breiten, fensterlosen Korridor um. Ein schwarzes Brett gab Auskunft
über Sitzungen, Arbeitsgruppen und Raumbelegungspläne, ein ordentlich gerahmter
Übersichtsplan listete die Personen auf, die in diesem Fachbereich tätig waren.
Daniel Vogler war nicht darin aufgeführt.
Er stand immer noch unentschlossen im Gang, als er hinter
sich das harte Klappern von Absätzen hörte. Er drehte sich um und sah eine etwa
fünfzigjährige Frau in schlichtem grauem Kostüm auf sich zukommen. In der einen
Hand trug sie eine große, schwarze Ledertasche, in der anderen hielt sie ein
Schlüsselbund bereit. Als sie Max erblickte, stockte sie kurz, dann nickte sie
ihm zu und blieb vor der Tür stehen, an die er gerade vergeblich geklopft
hatte.
"Suchen Sie etwas? Kann ich Ihnen vielleicht
weiterhelfen?", fragte sie.
Max lächelte freundlich und stellte sich vor. "Ich suche
jemanden, der Daniel Vogler kennt. Ich weiß nur, dass er als Mathematiker und
Informatiker hier an der Uni arbeitet." Er deutete mit einer Kopfbewegung
auf den Personalplan. "Hier ist er allerdings nicht mit aufgeführt."
Die Frau hob die Augenbrauen. "Ich kenne Daniel",
sagte sie. Dann lächelte sie. "So unübersichtlich ist es hier nämlich gar
nicht. Kommen Sie herein."
Sie schloss die Tür zum Sekretariat auf und stellte ihre
Tasche auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch ab.
"Warum interessiert sich denn die Kripo für Daniel?
Gestern hat schon einmal jemand nach ihm gefragt. Ihm ist doch hoffentlich
nichts zugestoßen?"
"Wir ermitteln in einem Mordfall, und er ist ein
wichtiger Zeuge."
"Ach", sagte die Frau und zog eine Augenbraue hoch.
Sie nahm die Kanne der Kaffeemaschine und ließ an dem kleinen Handwaschbecken
Wasser einlaufen. "Und was wollen Sie wissen?"
"Herr Vogler hat angegeben, hier beschäftigt zu sein,
sich jedoch häufig von zu Hause aus ins Rechenzentrum einzuloggen. Stimmt
das?"
Die Frau legte eine Filtertüte in den Filter und füllte
Kaffeepulver ein.
Weitere Kostenlose Bücher