Mordswald - Hamburgkrimi
"Ja. Daniel hat hier eine halbe Stelle, und auch nur auf
zwei Jahre befristet." Sie sah zu Max auf. "Deshalb haben Sie ihn
auch nicht auf dem Plan draußen auf dem Flur gefunden." Mit einer
energischen Bewegung klappte sie den Filter zu und schaltete die Maschine ein.
"Daniel ist ein ziemlicher Eigenbrötler, selbst für einen Mathematiker. Er
ist nur selten hier, aber er leistet gute Arbeit."
"Er hat mir einmal erklärt, was er macht, aber ich
fürchte, ich habe kein Wort verstanden."
Die Frau lächelte. "Das würde wohl den meisten Menschen
so ergehen. Kommen Sie." Sie öffnete eine Tür, die ins Nebenzimmer führte, das deutlich größer
war als das Vorzimmer. Eine Wand verschwand gänzlich hinter einem deckenhohen,
vollgestopften Bücherregal, eine andere bestand aus einem einzigen, riesigen,
von mathematischen Formeln bedeckten Whiteboard. Die Frau ging hinter den
Schreibtisch, stellte ihre Ledertasche ab und lächelte amüsiert, als sie Max'
leicht verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte. "Ich habe mich noch gar nicht
vorgestellt. Ich bin Professor Thelmann, Daniels direkte Vorgesetzte –
und seine Doktormutter."
"Ich wusste gar nicht, dass Herr Vogler promoviert
hat", sagte Max, um seine Verlegenheit zu überspielen. Es passierte ihm
selten, dass er auf Klischees hereinfiel, aber völlig dagegen gefeit war auch
er nicht.
"Ja, direkt nach seinem Studium. Er hat Mathematik und
Informatik studiert und in Mathematik seinen Doktor gemacht. Er ist
hochintelligent, wie Sie sicherlich bereits festgestellt haben … Sie kennen ihn
doch, wie ich annehme?"
"Ja, ich habe bereits mit ihm gesprochen." Er
widerstand der Versuchung, sich erklären zu lassen, mit was genau Vogler und
Professor Thelmann sich beschäftigten, da er ahnte, dass diese Erklärung etwas
länger ausfallen könnte. Stattdessen sagte er: "Wenn ich Sie richtig
verstanden habe, hat Daniel also bei Ihnen studiert und promoviert, dann ist er
in die freie Wirtschaft gegangen und anschließend ist er zurückgekommen?"
Professor Thelmann nickte. "Exakt. Sein Ausflug in die
harte Welt dort draußen hat ihm nicht zugesagt, und nach kurzer Zeit war er
wieder zurück."
"Kommt so etwas eigentlich häufiger vor? Ich meine, dass
jemand in die freie Wirtschaft geht und nach einiger Zeit wieder
zurückkommt?"
Die Frau schüttelte den Kopf. "Nein, es ist sogar
ziemlich ungewöhnlich. Was allerdings auch den schlechten Arbeitsbedingungen im
universitären Bereich geschuldet ist. In der Regel gibt es nur befristete
Stellen, von den Einsparungen im Personalbereich ganz zu schweigen." Sie
verzog das Gesicht. "Für Jungakademiker, die eine akademische Laufbahn
anstreben und eine Familie gründen wollen, sind das denkbar ungünstige Voraussetzungen. Also
wandern viele ab und kommen nicht wieder."
"Aber Daniel Vogler schon. Hat Sie das gewundert?"
"Nein. Mich hat eher gewundert, dass er überhaupt in die
Wirtschaft gegangen ist. Er hätte sich auch an einer anderen Uni bewerben
können, und vermutlich hätte er sogar etwas gefunden."
"Warum wundert Sie das? Vielleicht wollte er endlich
einmal einen sicheren, gut bezahlten Job haben?"
Professor Thelmann lächelte. "Daniel ist ein ziemlicher
Sonderling, Geld interessiert ihn nicht. Er arbeitet am liebsten allein und
beschäftigt sich vorzugsweise mit der Lösung von Problemen, von deren Existenz
neunundneunzig Prozent der Menschen nicht einmal etwas ahnen. " Max musste
an die Erklärung denken, die Vogler ihm und Lina gegeben hatte, und stimmte der
Frau im Stillen zu. "Die Informatik ist für ihn eher ein Zeitvertreib,
damit entspannt er sich. Seine wahre Leidenschaft gilt der Mathematik. Ich
bezweifle, dass es in der freien Wirtschaft eine Stelle gibt, bei der er sich
nicht innerhalb kürzester Zeit langweilen würde."
Max nickte. "Seine Tätigkeit lag dann ja auch weit unter
seinen Fähigkeiten."
"Tat sie das? Daniel hat nur erwähnt, dass er für eine
Softwarefirma gearbeitet hat, aber nicht, was er dort genau gemacht hat."
Max beschrieb ihr mit knappen Worten, in welchen Geschäftszweig die Firma Inoware tätig
gewesen war. Professor Thelmann runzelte die Stirn. "Das hätte ich
allerdings nicht erwartet. Wie gesagt, Daniel ist hochintelligent und langweilt
sich schnell, und die Programmierung von einfachen Sicherheitspaketen dürfte
ein Klacks für ihn gewesen sein. Kein Wunder, dass er so schnell wieder hier
war."
"Die Firma musste Insolvenz anmelden", erklärte
Max.
Professor Thelmann lachte. "An Daniel
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