Mordswald - Hamburgkrimi
CDU-Bundestagsabgeordneten untervermietet hat. Vielleicht
haben Sie ja von der Sache gehört."
Max nickte, er hatte davon in der Zeitung gelesen.
"Seltsame Geschichte."
Tobias Behnke schnaubte. "Das können Sie laut sagen. Das
Niendorfer Gehege ist vermutlich der einzige Wald Deutschlands, in dem der
Förster nicht im Forsthaus wohnt. Dabei", fügte er erläuternd hinzu,
"herrscht für unsereins eigentlich Residenzpflicht." Er warf einen
letzten Blick auf den Rotklinkerbau, der in der Nachmittagssonne freundlich
leuchtete. "Fragen Sie mich nicht, wieso der das darf."
Wenige Schritte später kam eine halb verfallene Villa in
Sicht. Max Berg atmete tief ein und lächelte, als er ein paar Vögel zwitschern
hörte. Die Sonne beschien den Weg vor ihnen.
"Einen schönen Arbeitsplatz haben Sie", sagte er.
Tobias Behnke nickte. "Einhundertvierzig Hektar
Mischwald und Buchenwald mit den typischen Kräutern. Aber weil ein Teil des
Geheges im neunzehnten Jahrhundert von Hamburger Kaufleuten als Parkgrundstücke
angelegt worden war, wachsen hier auch ein paar eher untypische Bäume.
Rosskastanien, Esskastanien, Ginkgo. Direkt an der Kollau wuchert zum Beispiel
eine ursprünglich aus Indien und dem Himalaya stammende Pflanze, das drüsige
Springkraut, bis zu zwei Meter hoch, mit rosa Blüten. Sieht nicht schlecht aus,
aber es verdrängt die heimische, wesentlich unscheinbarere Art völlig."
Tobias Behnke führte Max über ein paar gut ausgebaute Wege,
bis sie zehn Minuten später vor den flatternden Bändern der Polizeiabsperrung
standen.
"Nicht gerade groß hier, was?"
Behnke zuckte die Achseln. "Immer noch größer als
irgendein Büro in der City."
Max blieb vor der Stelle, an der der Tote gelegen hatte,
stehen und betrachtete das Unterholz. Von den ursprünglichen Spuren war nicht
mehr viel zu erkennen, nachdem die Spurensicherung hier gründliche Arbeit
geleistet hatte. Trotzdem suchte er sorgfältig den Boden ab, bis er fand,
wonach er gesucht hatte. Die Pflanze wirkte seltsam fehl am Platz. Er zeigte
darauf und fragte:
"Wissen Sie, was das für eine Pflanze ist?"
"Ein Aronstab", kam es wie aus der Pistole
geschossen. "Wow, den habe ich noch nie hier gesehen. Wissen Sie, das ist
eine ziemlich skurrile Pflanze", erklärte der Förster und trat näher
heran. "In diesem Kelch hier fängt sie Schmetterlingsfliegen, aber nicht,
um sie zu verdauen wie zum Beispiel die Venusfliegenfalle, sondern um sich von
ihnen bestäuben zu lassen und ihnen ihrerseits ihre Pollen mit auf den Weg zu
geben, wenn sie die Insekten wieder freilässt." Er schwieg und betrachtete
die Pflanze genauer. "Komisch, eigentlich ist das eine Schattenpflanze und
steht nicht gerne in der prallen Sonne." Er stutzte, beugte sich vor und
richtete sich kopfschüttelnd auf.
"Diese Pflanze ist …"
"… umgesetzt worden, ich weiß."
Tobias Behnke machte ein verwirrtes Gesicht, was ihn noch
jünger aussehen ließ.
"Haben Sie so etwas schon einmal gesehen? Ich meine,
dass Pflanzen hier im Wald umgesetzt werden?"
Der Förster schüttelte den Kopf. "Nein, noch nie.
Allerdings sehe ich mir das Grünzeug auch selten so genau an. Ich kümmere mich
mehr um das große Ganze."
"Haben Sie eine Ahnung, wer so etwas tun würde?"
Behnke warf noch einmal einen Blick auf den Aronstab, dann
sah er wieder Max an. "Keine Ahnung. Von meinen Leuten war es jedenfalls
keiner."
"Ihre Leute?"
"Die fünf Forstarbeiter, die hier fest angestellt sind.
Aber die Männer geben sich mit solchem Kleinzeug gar nicht erst ab. Für die
zählt nur, was dick genug ist, um ihm mit der Kettensäge zu Leibe zu
rücken."
"Und sonst? Sind Ihnen in der letzten Zeit irgendwelche
Jugendlichen aufgefallen?"
"Jugendliche?" Behnke kratzte sich am Kopf.
"Da hinten bei der Kirche ist ein Gymnasium, und manchmal sind die Schüler
hier im Wald … Biounterricht in der Natur. Oder Sport."
"Ich meinte eher … na ja, Jugendliche, die auf Krawall
aus sind."
Behnke lachte. "Hier? Freiwillig? Nee, das ist doch viel
zu viel Natur hier. Hier gibt’s Käfer und Würmer und Matsch." Er
schüttelte den Kopf. "Wenn Sie wüssten, was ich manchmal zu hören bekomme,
wenn ich eine Schülergruppe betreuen muss. Die meisten fahren doch lieber in
die City oder hängen da hinten in der Fußgängerzone rum." Er machte eine
unbestimmte Handbewegung in Richtung Norden, wo die U-Bahnstation und eine
kleine Einkaufsstraße lagen. "Von denen will sich doch keiner dreckig
machen."
Berg sah den Förster nachdenklich an.
Weitere Kostenlose Bücher