Mordswald - Hamburgkrimi
noch einmal anzuschauen, drehte die alte Frau sich
um und zuckelte zur Haustür. Erst jetzt erkannte Berg, dass sie über ihrem
Kleid eine Schürze trug, allerdings falsch herum gebunden, sowie zwei
verschiedene Socken. Er folgte ihr, und obwohl er den Umweg über den
Bürgersteig nehmen musste, war er vor ihr an der Tür. Die alte Frau schloss auf
und betrat das Haus. Der Flur war hell gestrichen, an den Wänden hingen
Naturfotografien, und es roch angenehm frisch. Nicht unbedingt das, was er vom
Haus einer alten Frau erwartet hatte.
"Die hat mein Enkel gemacht", erklärte Frau Berger
stolz und zeigte auf die Bilder. "Er wohnt hier, mit seiner
Freundin."
"Und Jonas?"
"Jonas? Welcher Jonas? Ich kenne keinen Jonas!"
Sie stand im Flur und musterte Max mit einer Mischung aus
Verwirrung und Furcht.
"Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie hier?"
"Frau Berger, ich bin Max Berg von der Kripo Hamburg.
Ich bin hier, weil Sie mir die Adresse von Ihrer Nachbarin Frau Jensen geben
wollten."
"Die Adresse von meiner Nachbarin? So ein Unsinn, junger
Mann. Die wohnt doch nebenan. Gehen Sie doch einfach rüber, wenn Sie was von
der wollen, aber belästigen Sie mich nicht! So eine Unverschämtheit! Und das am
helllichten Tag! Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei! So eine Frechheit,
also wirklich …"
Max zog sich langsam zurück, wobei er freundlich lächelte und
beruhigend auf die alte Frau einredete.
"Ja, Frau Berger, ich gehe schon. Und Sie brauchen die
Polizei nicht anzurufen, ich bin ja selbst von der Polizei. Keine Angst, ich
bin schon weg."
Doch die alte Frau sah ihm nur argwöhnisch nach und schlug
laut schimpfend die Tür hinter ihm zu.
Max seufzte, dann schaute er auf die Uhr. Mit etwas Glück
erreichte er vielleicht noch jemanden in der Revierförsterei im Niendorfer
Gehege. Von hier aus würde er nicht lange bis zu dem kleinen Wald brauchen. Er
holte sein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer, die er vorher
eingespeichert hatte. Er hatte Glück. Herr Behnke, der Revierförster, nahm nach dem zweiten
Klingeln ab, war noch im Wald und versprach Max, auf ihn zu warten.
Zwanzig Minuten später hatte das Navi ihn zielsicher durch
das Niendorfer Gehege gelotst. Max
stellte den Wagen auf dem von roten Holzhäuschen eingefassten Hof ab. Aus einem
der flachen Gebäude, bei denen es sich zumeist um Schuppen zu handeln schien,
trat ein kräftig gebauter, hochgewachsener Mann mit gepflegtem Dreitagebart. Er
trug Jeans und T-Shirt, das Gesicht und die Arme waren braun gebrannt, die
Haare dunkelbraun oder schwarz, die Augen braun. Max schätzte ihn auf nicht
älter als neunundzwanzig Jahre. Die tiefe Stimme hatte ihn am Telefon älter
klingen lassen.
"Herr Behnke?", rief er und ging auf den Mann zu.
Dieser nickte und musterte mit raschem Blick Bergs Jackett und die guten
Schuhe. Max stellte sich vor und schüttelte dem jungen Mann die Hand. Warmer,
kräftiger Händedruck, nicht zu fest, nicht zu weich.
"Schöne Scheiße, das mit dem Toten", sagte Behnke,
wobei ihm das Kunststück gelang, nicht respektlos zu wirken.
Max nickte. "Ich wollte Sie fragen, ob Ihnen heute oder
in der letzten Zeit irgendetwas Besonderes aufgefallen ist, hier im Gehege und
besonders in der Nähe des Tatorts."
Tobias Behnke lachte. "Noch allgemeiner konnten Sie Ihre
Frage wohl nicht formulieren, was?"
Max musste ihm recht geben und lächelte, ohne jedoch seine
Frage zu präzisieren.
"Ich habe", erklärte der Förster, "mir
natürlich meine Gedanken gemacht, als ich heute Morgen mitbekommen habe, dass
man hier in meinem Wald eine Leiche gefunden hat." Er zuckte die
Schultern. "Ich weiß, es ist nicht mein Wald, aber … aber irgendwie eben doch. Ich
bin dafür verantwortlich, ich muss ihn schützen und pflegen. Und dann so
was!" Als sei der Tote ein Schaden, den irgendjemand dem Wald zugefügt hatte.
Eine Schande, ein Makel, der ihm ab jetzt anhaften würde und ihn seiner
Unschuld beraubte. Behnke schüttelte den Kopf. "Wollen wir ein paar
Schritte gehen?" Er blickte auf Bergs Schuhe. "Oder lieber
nicht?"
Max lächelte. "Die sind nicht so empfindlich, wie sie
aussehen", sagte er. "Außerdem sind es nur Schuhe."
Sie kamen an ein paar knorrig verwachsenen Hainbuchen vorbei,
kurz darauf an einem schmucken Haus auf riesigem Grundstück. Max hatte sich
gerade dem Förster zugewandt, um ihn zu fragen, als dieser bereits erklärte:
"Das Forsthaus. Vermietet an die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, die es
günstig an einen
Weitere Kostenlose Bücher