Mordswald - Hamburgkrimi
Haus läuten, aber niemand
öffnete. Er klingelte noch einmal. Immer noch nichts.
Er trat einen Schritt zurück und schaute hinauf zu den
Fenstern im Dachgeschoss. Doch auch dort entdeckte er kein Anzeichen von Leben.
Er ging die drei Stufen vom Eingangsvorbau hinunter und in den Vorgarten, in
dem dringend mal wieder Rasen gemäht werden müsste. Die Erkerfenster lagen zu
hoch, um in das dahinterliegende Zimmer zu spähen, doch als er gerade
nachschauen wollte, ob es einen Weg am Haus vorbei gab, hörte er jemanden
rufen.
"Hallo? Junger Mann, was machen Sie da, wenn ich fragen
darf?"
Auf dem Nachbargrundstück stand direkt an der Ligusterhecke
eine alte Frau, die Max hinter einer dichten Tanne nicht gesehen hatte. Sie
musste weit über achtzig sein, so faltig und grauhaarig, wie sie war.
Misstrauisch musterte sie ihn aus wässrig blauen Augen, während sie sich auf
eine Hacke stützte. Offensichtlich arbeitete sie gerade im Garten, dem man
ansah, dass sich jemand Mühe damit gab.
"Guten Tag", sagte Max und ging langsam auf die
Frau zu, um sie nicht zu erschrecken. "Mein Name ist Max Berg, ich bin von
der Kripo Hamburg. Ich suche Herrn Jensen." Er zeigte ihr seinen
Dienstausweis, doch sie winkte ungeduldig ab mit der Bemerkung, dass sie ohne
ihre Brille ohnehin nichts erkennen könne.
"Was hat er denn angestellt, der Herr Jensen?",
wollte sie Nachbarin wissen.
"Soweit wir wissen, gar nichts. Er soll als Zeuge
vernommen werden. Sie wissen wohl nicht zufällig, wo ich ihn finden kann?"
"Da suchen Sie man am besten die Kneipen im Umkreis ab,
irgendwo wird er schon hocken, der Herr Jensen."
"Arbeitet er denn nicht?"
"Schon seit bestimmt drei Jahren nicht mehr, oder sind
es sogar schon vier? Warten Sie mal, mein Ältester ist damals gerade an der
Prostata operiert worden, in dem Jahr war das, und das ist bestimmt schon drei
Jahre her. Aber dann müsste Jonas – das ist mein Urenkel, wissen Sie - ja
schon vier sein, weil wir kurz danach seinen ersten Geburtstag gefeiert haben.
Aber Jonas ist doch erst drei, oder nicht? Oder war es gar nicht der erste
Geburtstag, sondern der zweite? Ich müsste da mal nachsehen, ich hab's mir doch
irgendwo aufgeschrieben …"
Geduldig hatte Max der alten Frau zugehört, doch jetzt
unterbrach er sie sanft. "Ich glaube, das ist nicht nötig, Frau … Wie
lautet gleich Ihr Name?"
"Berger. Elli Berger. Und ich bin sechsundachtzig Jahre
alt", fügte sie hinzu, damit ja niemand auf die Idee kam, sie für irgend
so ein junges Ding zu halten.
"Frau Berger, ich glaube, ich weiß, worauf Sie
anspielen. Die Firma, bei der Herr Jensen beschäftigt war, musste Insolvenz
anmelden, das war vor etwas mehr als zwei Jahren."
Die alte Frau nickte begeistert. "Sag ich doch, sag ich
doch. Furchtbare Geschichte. Ich hab das ja erst gar nicht richtig mitbekommen,
aber wie dann die Kirsten immer mit verweinten Augen rumgelaufen ist und sie
erst das große Auto und dann auch noch das kleine verkauft haben, da hab ich
die Ärmste mal angesprochen, und da hat sie mir erzählt, dass ihr Mann stempeln
gehen muss. Furchtbar, so was. Es heißt ja, er sei reingelegt worden."
"Ach", sagte Max.
"Aber ja. Wissen Sie", die Alte beugte sich ein
Stück weiter über die Hecke, die ihr bis zur Brust reichte, "der Frank ist
ja so ein Computerspe-zi-a-list." Sie betonte jede Silbe einzeln, als
gehörte das Wort nicht zu ihrem aktiven Wortschatz. "Ich kenn mich ja
damit nicht aus, wozu brauch ich das denn noch, in meinem Alter? Nee, nee. Aber
der Frank, der hat in so einer Firma gearbeitet, und da ist er dann reingelegt
worden."
"Ach", wiederholte Max. "Und wie ging es
danach weiter? Hat er danach keine Stellung mehr gefunden?"
"Nee, das sag ich doch die ganze Zeit. Man hat ihn
reingelegt, und danach war er arbeitslos." Sie deutete mit einem
Kopfnicken zum Haus der Jensens. "Seitdem hockt er zu Hause. Hockt da und
starrt die Wand an."
Vermutlich stand vor dieser Wand noch ein Computermonitor,
dachte Max.
"Jetzt ist er aber nicht zu Hause."
"Nee, jetzt kippt er bestimmt einen hinter die Binde.
Das macht er, seit Kirsten mit den Kindern ausgezogen ist. Vor drei Wochen war
das. Oder vor vier? Ich müsste da mal nachsehen, ich hab's mir doch irgendwo
aufgeschrieben …"
"Lassen Sie man, Frau Berger, so genau brauche ich es
gar nicht. Aber Sie wissen nicht zufällig, wo Frau Jensen jetzt wohnt?"
"Sie hat's mir aufgeschrieben, warten Sie, ich muss mal
nachsehen, irgendwo hab ich den Zettel doch noch …"
Ohne Max
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