Mordswald - Hamburgkrimi
Parkplatz, und sie haben beobachtet, wie das
Pärchen torkelnd im Wald verschwand. Offensichtlich mussten sie sich aneinander
festhalten, um nicht umzufallen, aber sie waren quietschfidel und kicherten die
ganze Zeit."
"Konnte er eine brauchbare Personenbeschreibung
abgeben?"
"Das nicht, aber er hat gehört, wie die Frau zu Birkner
sagte, sie wolle ihm ihren Stab zeigen."
Max runzelte die Stirn. "Ihren Stab zeigen? Was zum
Teufel soll das denn heißen?"
"Frag mich was Leichteres. Ich habe extra noch einmal
nachgefragt, aber der Zeuge war sich ganz sicher. Er meinte, er hätte sich
sogar mit seiner Frau darüber unterhalten, ob sie wohl ihren Lockenstab
irgendwo im Wald verbuddelt hat."
Lina schwieg, und Max hörte erneut das leise Klappern, bis er
das energische Klicken der Entertaste vernahm. Dann gähnte sie. "Und, was
hast du rausgefunden?"
"Nicht viel. Birkners ehemaliger Angestellter, Frank
Jensen, war nicht da, aber anscheinend hat seine Frau ihn vor Kurzem verlassen.
Meine Zeugin ist allerdings eine demente Sechsundachtzigjährige, die sogar
vergessen hat, dass sie einen Urenkel hat." Er blickte aus dem Fenster in
das viele Grün um ihn herum. "Und gerade eben habe ich mich nett mit dem
Revierförster unterhalten." Er blickte in das viele Grün um ihn herum.
"Stell dir vor, dein Arbeitsplatz ist ein Wald, in dem du auch wohnen
musst. Ein altes Forsthaus als Dienstwohnung, zumindest theoretisch. Nicht
schlecht, was?"
"Höre ich da etwa Neid aus deiner Stimme? So kenne ich
dich ja gar nicht." Irgendetwas knisterte in der Leitung, vermutlich aß
Lina gerade ein Brötchen direkt aus der Tüte. "Aber du hast mich doch
bestimmt nicht angerufen, um mir von deinem neuen Traumberuf vorzuschwärmen und
die Enkel von dementen Damen zu bedauern."
Max lachte. Sie kannte ihn verflixt gut. "Du hast recht.
Ich wollte dich fragen, ob du morgen mit zu Frank Jensen kommst. Seine
Nachbarin, die bereits mehrfach erwähnte demente Dame, meinte, er würde im
Moment nur trinken. Unter Umständen stehen also unsere Chancen nicht schlecht,
ihn morgen früh zu erwischen."
"Wie früh?" Lina gab sich keine Mühe, ihren Argwohn
zu verbergen.
"Gegen elf?"
"Das geht gerade noch."
"Also gut. Ich hol dich ab."
6
D ie Doppelhaushälfte in der
kleinen Seitenstraße sah heute nicht freundlicher aus als gestern. Am Vortag
hatte immerhin noch die Sonne geschienen, während jetzt der Himmel bedeckt war
und ein kühler Wind wehte. Im Gegensatz zu gestern früh fühlte sich Lina heute
allerdings schon fast topfit. Sie hatte den Wecker auf neun Uhr gestellt, hatte
ausgiebig geduscht, sich anschließend Brötchen geholt und in Ruhe gefrühstückt.
Mit zwei Tassen Kaffee im Bauch konnte ihr die Welt nichts mehr anhaben.
Jetzt standen sie vor der Tür, und Max drückte auf den
Klingelknopf. Nichts regte sich. Er klingelte erneut, bis er schließlich, als
sie immer noch nichts hörten, an die Tür klopften wollte. Doch kaum hatten
seine Knöchel das Holz berührt, schwang die schwere Tür mit einem leisen
Quietschen auf. Sie war nur angelehnt gewesen.
Max und Lina sahen sich unschlüssig an, dann nickten sie
beinahe gleichzeitig. Vorsichtig stieß Max die Tür ganz auf.
"Hallo?", rief er mit lauter Stimme. "Herr
Jensen? Sind Sie zu Hause?"
Beide blieben stehen und lauschten. Nichts. Aus dem Inneren des
Hauses wehte ihnen ein muffiger, stechender Geruch entgegen. Langsam machte Max
einen Schritt nach vorn, Lina folgte dicht auf.
Im Flur stolperten sie fast über einen Haufen Schuhe. Ein
gutes Paar mit Ledersohle, das noch leidlich passabel aussah und nur von einer
dünnen Staubschicht überzogen war, ein paar leichte Turnschuhe und schwere
Wanderstiefel, bei denen eingetrockneter Dreck in der Sohle klebte. Frank
Jensen hatte Schuhgröße 44, was ausgesprochen gut zu den Fußspuren am Tatort
passte.
Das Wohnzimmer war komplett ausgeräumt: kein Sofa, kein
Regal, keine Schrankwand. Nur ein einsamer Sessel und ein alter Fernseher auf
dem Fußboden. Neben der Küche lag ein kleines Büro, der Tisch mit dem
Computermonitor war mit einer dicken Schicht aus Zetteln und Briefen bedeckt,
von denen ein paar schon auf den Boden gerutscht waren. Auf einem der Schreiben
erkannte Lina das Logo des Amtsgerichts und unter Betreff das Wort
"Zwangsräumung". Die Tastatur des Computers war eingestaubt und seit
Längerem nicht mehr benutzt worden. Vom Arbeitsplatz aus hatte man einen
schönen Blick in den kleinen Garten mit altem Baumbestand und ein
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