Mordswald - Hamburgkrimi
ein
einziges großes Fragezeichen.
"Wie kommt es, dass eure Väter sich kennen? Und wieso
erfahre ich erst jetzt davon? Weiß Hanno das?"
Sie starrte ihn an, dann wandte sie den Blick ab, riss sich
los und stapfte weiter zum Wagen, mit dem sie gekommen waren. Während der Fahrt
schwieg sie hartnäckig, bis sie vor einem Café anhielten, von dem er wusste,
dass es dort leckeren Kaffee gab, so wie Lina ihn mochte. Er stellte sich für
sie beide in der Schlange an, und als er zu dem kleinen Tisch am Fenster kam
und eine Latte macciato vor ihr abstellte, murmelte sie ein leises Dankeschön.
Schließlich lehnte sie sich zurück, streckte die Beine aus
und sah aus dem Fenster auf die Einkaufsstraße, auf der wegen des Regens, der
schon den ganzen Tag anhielt, nur wenige Menschen unterwegs waren. Die Raucherplätze
vor dem Café waren verwaist, ebenso wie die Stehtische vor der Bäckerei auf der
anderen Straßenseite.
"Mein Vater ist Meinhart Steinhagen", sagte sie so
leise, dass er fast meinte, sich verhört zu haben. Sie griff nach dem Zucker,
streute ihn auf den Milchschaum und löffelte die süße Masse anschließend auf.
Max sagte nichts. Eine ganze Weile lang sah er Lina nur an,
als überlege er, den psychologischen Dienst zu informieren, der sich in
Krisenzeiten um traumatisierte Kollegen kümmerte. Schließlich räusperte er sich
und sagte: "Dein Vater ist der Meinhart Steinhagen?"
Lina nickte.
Jedes Kind in Hamburg kannte diesen Namen. Die Familie
Steinhagen war seit Generationen mit der Stadt Hamburg verbunden, ihre
Vorfahren hatten angeblich die Gründungsurkunde der Stadt mitunterzeichnet,
zeitweise hatte der Familie mehr als die Hälfte der Stadt gehört. Diese Zeiten
waren längst vorbei, aber noch heute waren zahlreiche Straße, Plätze und Bauten
nach der Familie benannt. Meinhart Steinhagen war Reeder, Bankier, Kaufmann, er
war Senator gewesen, hatte die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen
bekommen und nannte alles, was in Hamburg und darüber hinaus Rang und Namen
hatte, seinen Freund.
Max fehlten die Worte. Er konnte sich nicht erinnern, wann
ihm das zum letzten Mal passiert war. "Aber wieso … ich meine, du heißt
Svenson, bist aber nicht verheiratet … wieso hast du das nie erwähnt?"
"Ich bin unehelich geboren, und es wäre mir lieber, wenn
er nicht mein Vater wäre." Jetzt war ihr Geheimnis also raus, und es war nicht
abzusehen, welche Konsequenzen das nach sich ziehen würde. Ihr Leben lang hatte
sie aufgepasst, dass ja niemand davon erfuhr, aus Angst, man würde sie für eine
von denen halten und sie mit so einer wie der Katja Ansmann in eine Schublade stecken.
Was für eine Schande für jemanden, der mit Leib und Seele in Altona beheimatet
war, dem alten Arbeiterviertel, in das sich Pfeffersäcke lange Zeit nur mit
Polizeischutz hineingetraut hatten. So einen zum Vater zu haben, das war übler als
die Krätze.
Max beobachtete sie, ihre klaren, sparsamen Bewegungen, und
wusste, dass es in ihr brodeln musste, denn die Ruhe, die sie ausstrahlte, war
die konzentrierte Ruhe einer Kämpferin kurz vor der Schlacht. Wenn ihr Vater,
zu dem sie ein, gelinde gesagt, schwieriges Verhältnis zu haben schien, einer
der reichsten Männer Hamburgs war, erklärte das natürlich so einiges, und Max
brauchte nicht länger herumzurätseln, woher Linas auffällige Abneigung gegen
alles Reiche und Protzige rührte.
"Erzähl mir von ihm." In Max' Stimme schwang eine
ungewohnte Autorität mit, der Lina sich nur schwer entziehen konnte. Vielleicht
wollte sie auch nicht länger schweigen, weil sie schon viel zu lange
geschwiegen hatte. Trotzdem ließ sie sich Zeit mit der Antwort, und als sie
schließlich sprach, klang ihre Stimme ruhig und sachlich, als hätte diese
Geschichte nichts mit ihr zu tun.
"Bis ich sechzehn war, dachte ich, mein Vater sei ein
Urlaubsflirt meiner Mutter gewesen, ein Typ aus London namens Alistair, von dem
sie weder Nachnamen noch die Adresse kannte." Sie zuckte die Achseln und
sah Max zum ersten Mal, seit sie in diesem Café saßen, an. "Das hat sie
mir jedenfalls immer erzählt, und so steht es in meiner Geburtsurkunde: Vater
unbekannt. Als Kind habe ich meinen Vater nicht vermisst, denn da war ja
Christian, der Freund meiner Mutter. Er war mein Vater und ist es noch heute,
obwohl ich immer wusste, dass er nicht mein leiblicher Vater ist." Sie
schaute wieder aus dem Fenster. "Als ich sechzehn war, war ich auf einem
hamburgweiten Schülertreffen. Die Schulsprecher von allen
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