Mordswald - Hamburgkrimi
irgendwelche Bekannten gelten, denen
man nicht gleich die halbe Lebensgeschichte auf die Nase binden wollte. Aber
mit der Lebensgefährtin, der Mutter des eigenen Sohnes, niemals über ein
Ereignis dieser Tragweite zu sprechen? Lina fragte sich, wie offen die
Beziehung der beiden tatsächlich gewesen war – war sie womöglich so offen
gewesen, dass es schon an Gleichgültigkeit grenzte?
"Kennen Sie Daniel Vogler?", fragte Max.
Katja Ansmann machte ein nachdenkliches Gesicht. "Daniel
Vogler …", sagte sie langsam, "den Namen habe ich schon einmal
gehört. Helfen Sie mir auf die Sprünge!"
"Ein ehemaliger Angestellter Ihres Lebensgefährten bei Inoware ."
"Ach ja, der zweite Softwareentwickler der Firma. Ich
erinnere mich. Ein sehr intelligenter Mann, aber seine sozialen Fähigkeiten
waren nicht besonders ausgeprägt."
"Können Sie das etwas genauer erklären?"
"Eine gute Kommunikation sowie Teamfähigkeit sind heute
unabdingbar, wenn man im Arbeitsleben bestehen will. Wer nicht in der Lage ist,
auf andere Menschen einzugehen oder sich in eine Gruppe einzupassen, wird es
schwer haben. Herr Vogler ist das, was man gemeinhin einen Eigenbrötler nennen
könnte. Er hat Lösungen, durchaus kreative Lösungen, stets im Alleingang
entwickelt, ohne auf seine Kollegen Rücksicht zu nehmen." Sie gestattete
sich ein leichtes Lächeln. "Darauf angesprochen, erklärte er einmal, er
habe keine Lust, seine Zeit damit zu vergeuden, irgendwelchen Deppen das kleine
Einmaleins beizubringen."
"Meinte er mit den Deppen auch Herrn Birkner?"
Katja Ansmanns Lächeln verschwand. "Ja, ich denke
schon."
"Wussten Sie, dass Herr Birkner und Herr Vogler dieselbe
Schule besucht und im selben Jahr Abitur gemacht haben?", fragte Max.
Katja Ansmann sah ihn müde an. "Nein, das wusste ich
nicht."
Sie weiß verdammt wenig über ihren toten Lebensgefährten,
dachte Lina. Oder sie kannte Daniel Vogler besser, als sie zugeben wollte.
Möglicherweise steckte der Mathematiker hinter dem Datenklau, und er und Katja
Ansmann hatten gemeinsame Sache gemacht? "Hatten Sie nach der Insolvenz
von Inoware noch weiteren Kontakt zu Herrn Vogler?", fragte sie.
"Nein. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, nachdem meine
Beratertätigkeit für die Firma abgeschlossen war. Das war etwa ein dreiviertel
Jahr vor der Insolvenz."
"Ist es eigentlich Zufall, dass die Firma Markman Solutions nach dem Patentdiebstahl Zahlungen an Sie geleistet hat, ausgerechnet jene
Firma, die vom Programmierfehler der Firma Ihres Lebensgefährten profitiert
hat?" Lina sah aus den Augenwinkeln, wie Max ihr einen warnenden Blick
zuwarf, doch sie ignorierte ihn.
Katja Ansmann musterte sie einen Moment lang schweigend.
"Ich weiß nicht, was Sie damit andeuten wollen, aber wenn die besagte
Firma meine Dienste als Beraterin in Anspruch genommen hat, dürfte es
selbstverständlich sein, dass ich dafür ein Honorar erhalten habe."
Ehe Max den Mund aufmachen konnte, beugte Lina sich vor und
sagte leise: "Aber ich glaube nicht, dass das Zufall ist, Frau Ansmann. Genauso
wenig, wie ich es für einen Zufall halte, dass Ihr Lebensgefährte just in dem
Moment stirbt, in dem Sie das Geld von der Lebensversicherung wegen der
drohenden Insolvenz Ihres Vaters ausgesprochen gut gebrauchen können."
Katja Ansmann musterte sie kühl. "Hat Ihr Vater Ihnen
davon erzählt?"
Lina glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Woher wusste diese
Frau, wer ihr Vater war?
Katja Ansmann verzog den Mund zu einem Lächeln. "Es
stimmt also. Aber es war schließlich auch die einzige Erklärung, denn außer
meiner Familie und Ihrem Vater hat niemand davon gewusst."
Max schaute von einer Frau zur anderen und fragte sich, in
welchen Film er hier geraten war, doch weder Lina noch Frau Ansmann nahmen von
ihm Notiz.
Lina verspürte einen leichten Schwindel und fühlte sich auf
merkwürdige Weise bloßgestellt. Zu ihrem Schrecken erkannte sie, dass zwischen
ihr und Katja Ansmann eine Pattsituation entstanden war: Jede wusste etwas von
der anderen, was diese am liebsten mit niemandem teilen wollte. Stumm musterten
sie einander, durch ihre Geheimnisse aneinander gebunden, und fragten sich,
inwieweit sie einander trauen konnten. Zum ersten Mal fiel Lina auf, dass Katja
Ansmann graue Augen hatten, sie sich jetzt streng musterten.
Die Unternehmensberaterin brach schließlich das Schweigen.
"Sie sehen Ihrer Halbschwester Johanna ziemlich ähnlich, wie Sie
vielleicht wissen." Dann seufzte sie. "Ihr Vater war mehr oder
weniger zufällig
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