Mordswald - Hamburgkrimi
der erste Anruf. Kurz nach dem Tod seiner Frau, vor etwa fünf Jahren, hat
er angefangen, mich hin und wieder anzurufen. Er fragt dann immer, wie es mir
geht oder ob wir uns nicht mal wieder sehen können." Und er hatte
angefangen, sie Liebes zu nennen. "Ich hatte damals schon eine Geheimnummer. Sicher ist es für
jemanden mit seinen Verbindungen kein Problem, die Nummer herauszubekommen,
aber er muss doch wissen, dass mir das auffallen würde. Will er, dass ich weiß,
wie viel Macht er hat? Versucht er, mich zu kontrollieren und auszuhorchen? Ich
zweifle nicht daran, dass er mich benutzen würde, wenn er sich Vorteile davon
verspräche, so wie er alle Menschen benutzt."
Zweifelnd sah Max sie an. "Kann es nicht sein, dass er
dich tatsächlich einfach nur näher kennenlernen will?"
Lina schüttelte den Kopf. "Nein. Meinhart Steinhagen
macht nichts einfach
nur so . Bei ihm steckt immer eine Absicht dahinter." Sie wandte den
Blick ab. Erst vor wenigen Jahren hatte ihre Mutter ihr anvertraut, was sie nie
zuvor einem Menschen erzählt hatte. Als sie damals zum dritten Mal mit dem
Mann, den sie als Marc kennengelernt hatte, geschlafen hatte, hatte sie ihm von
den Plänen für eine Hausbesetzung erzählt. Ein wunderschöner Hamburger
Jugendstilaltbau in der Nähe des Hafens. Am übernächsten Morgen sollte es
losgehen, nur die unmittelbar Beteiligten und ein paar Unterstützer waren
eingeweiht, aber vielleicht hätte er ja Lust, vorbeizukommen, im Laufe des
Tages, sobald sie drin waren und die Türen und Fenster gesichert hatten.
Als die Hausbesetzer zwei Tage später um zwei Uhr in der
Frühe das alte Haus betreten wollten, wurden sie von einem Trupp Bauarbeiter
empfangen, die ihnen mit Schaufeln und Knüppeln drohten. Sie beschlossen den
strategischen Rückzug. Draußen liefen sie prompt der Polizei in die Arme, die
ihre Personalien aufnahm und sie erst gegen Abend wieder laufen ließ. Das Haus,
das wenige Tage später der Abrissbirne zum Opfer fiel, gehörte Albert
Steinhagen. Marcs, oder besser Meinharts Vater.
"Die Frage lautet: Warum hat er mir von der drohenden Insolvenz
des Bankhauses Ansmann erzählt?"
Eine junge Frau kam an ihren Tisch, um das schmutzige
Geschirr abzuräumen. Sie fragte, ob sie noch etwas bestellen wollten, doch Max
und Lina schüttelten unisono den Kopf.
Der Himmel war immer noch wolkenverhangen, aber immerhin
regnete es nicht mehr, als sie die wenigen Schritte zum Auto gingen. "Wenn
mein Vater mir von der drohenden Insolvenz erzählt hat, dann nur deswegen, weil
er sich einen Vorteil davon erhofft. Er hat mit mir noch nie über Geschäftliches gesprochen."
"Vielleicht spekuliert er darauf, dass über dich etwas
von der drohenden Insolvenz an die Presse durchsickert", sagte Max
nachdenklich. "Das würde die Lage des Bankhauses weiter verschlechtern, der
Wert würde noch weiter sinken, und Meinhart Steinhagen könnte ein Schnäppchen
machen."
Lina lachte bitter auf. "Und bietet anschließend seinem guten Freund Johannes Ansmann den Posten eines Geschäftsführers an." Doch dann
schüttelte sie den Kopf. "Nein, um solche brisante Nachricht durchsickern
zu lassen, braucht er mich garantiert nicht. Der hat doch bestimmt seine
Spezis, denen er solche Informationen diskret zuspielen kann."
Sie waren am Auto angekommen. Über das Dach hinweg sahen sie
sich an, wofür Lina sich auf die Zehenspitzen stellen musste. "Seit dem
Anruf zerbreche ich mir den Kopf, was das zu bedeuten hat und was er von mir
will. Es muss ihm doch klar sein, dass wir über kurz oder lang auch so auf die
Insolvenz gestoßen wären, spätestens, wenn es offiziell wird. Nein, Meinhart
Steinhagen hatte irgendwas anderes im Sinn." Sie schlug mit der flachen
Hand auf die Motorhaube. "Verdammt, und ich komm einfach nicht
darauf!"
Den Rest des Tages verbrachte das gesamte Team damit, alle Informationen über Franziska Leyhausen
und ihren möglichen Aufenthaltsort
zusammenzutragen. Alex und Sebastian hatten in ihrer Wohnung den Reisepass
gefunden, Personalausweis, Portemonnaie und Schlüssel hingegen fehlten. Ob die
Frau, die mittlerweile auf Platz eins der Verdächtigenliste gerutscht war,
Kleidung für ein paar Tage eingepackt hatte, ließ sich nicht sagen, leergeräumt
habe der Schrank jedenfalls nicht ausgesehen, sagte Alex. Sie hatten ein
Adressbuch gefunden und die eingespeicherten Nummern in Leyhausens Telefon
notiert, ihr Handy, das Niels Hinrichsen am Vortag zertrampelt hatte, lag noch
in der Kriminaltechnik.
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