Mordswald - Hamburgkrimi
für unbesiegbar. Aber wer weiß, jemand, der
sich beruflich mit ergodischen Verteilungen und asymptotischen Netzwerken
beschäftigte, hatte vermutlich tatsächlich einiges auf dem Kasten.
Während Lina Kringel auf ihren Notizblock malte, fragte Max:
"Kennen Sie vielleicht irgendwelche anderen Freundinnen oder Freunde von
Frau Leyhausen?"
"Nein. Wir haben uns immer allein getroffen. Das heißt,
doch", fügte er hinzu. "Barbara, die habe ich zwei-, dreimal
getroffen, aber ich kenne ihren Nachnamen nicht." Er gähnte und hielt sich
den Mund zu.
Lina horchte auf und lehnte sich auf dem Sofa zurück.
"Treffen Sie Frau Leyhausen denn nicht mehr?", fragte sie und
beobachtete Vogler genau.
Der Mann sah sie irritiert an. "Doch, natürlich, wieso
denn nicht?"
"Weil Sie die Vergangenheitsform benutzt haben, als Sie
sagten: 'Wir haben uns immer allein getroffen'."
"Habe ich das?"
"Ja."
Daniel Vogler zuckte die Schultern, schlug das rechte Bein
über das linke und verschränkte die Arme. "Das hat nichts zu sagen. Ich bin
eher mathematisch als sprachlich begabt."
Draußen auf der Straße holte Lina tief Luft. "Boah, was
war das denn für einer?"
"Ein Nerd", sagte Max einfach. Dann grinste er.
"Beim Kampfsport wäre das vermutlich mindestens der fünfte Dan."
Lina lachte. "Tanja Fischer meinte, er sei sozial eine
Katastrophe. Jetzt weiß ich, was sie damit meint." Dann wurde sie wieder
ernst. "Und was hältst du von ihm?"
Max kletterte auf den Beifahrersitz und schnallte sich an. Er
wartete, bis Lina den Wagen gestartet hatte, ehe er sagte: "Vielleicht
sollten wir dem Wirtschaftsdezernat mal einen Tipp geben. Glücksspielgewinne
sind illegal."
"Vielleicht hat er das Geld ja auch für die
Industriespionage bekommen, und das mit dem Pokern ist nur die
Coverstory", schlug Lina vor. Irgendetwas nagte an ihr, irgendeine
Ungereimtheit, aber sie kam einfach nicht darauf, was es war.
"Einen illegalen Gelderwerb durch den anderen
ersetzen?" Max schüttelte den Kopf. "Wie dumm ist das denn?"
"Oder im Gegenteil sehr geschickt." Lina sah in den
Rückspiegel und blinkte. Der Regen hatte aufgehört, aber es war immer noch
trüb, grau und schwül. "Aber die eigentliche Frage ist ja, ob er etwas mit
dem Mord an Birkner zu tun hat."
Max zuckte die Achseln. "Mir ist nicht klar, was er
gegen Philip Birkner haben sollte. Und außer, dass er von seiner Freundin in
der Vergangenheitsform geredet hat … Mir ist das übrigens gar nicht
aufgefallen. Sehr aufmerksam von dir."
Lina grinste. "Tja, ich bin eben eher sprachlich als
mathematisch begabt."
Als Katja Ansmann die Wohnungstür öffnete und Lina erblickte,
verzog sie den Mund zu einer schmalen Linie, doch darüber hinaus blieb sie
höflich und distanziert. Mit leiser Stimme bat sie die beiden Beamten herein,
Leon würde gerade schlafen, wenn sie ihr bitte ins Wohnzimmer folgen würden?
Lina hielt sich fürs Erste zurück und beschränkte sich auf
die Rolle der Zuhörerin. Das gab ihr die Gelegenheit, Katja Ansmann in aller
Ruhe zu beobachten. Heute trug sie eine bequeme, weit geschnittene Hose, Bluse
und leichte Sandaletten und war wie beim letzten Mal perfekt geschminkt, doch
die dunklen Ringe konnte noch so viel Make-up nicht verbergen. Lina stellte
fest, dass die Quasi-Witwe Philip Birkners fahriger wirkte als die letzten
beiden Male und eher dem Bild der trauernden Witwe zu entsprechen schien. Hin
und wieder warf sie Lina einen Blick zu, als fragte sie sich, was diese Frau
hier auf ihrem Sofa zu suchen hatte.
"Frau Ansmann, wir haben noch ein paar Fragen zu Herrn
Birkner, vor allem was seine Vergangenheit betrifft", sagte Max.
"Kurz nach dem Abitur wurde eine ehemalige Freundin von ihm umgebracht.
Wissen Sie irgendetwas darüber?"
Katja Ansmann runzelte nachdenklich die Stirn, und zum ersten
Mal meinte Lina erste Anzeichen des Alters bei ihr zu erkennen, kleine, feine
Fältchen in den Augenwinkeln, ein müder Zug um den Mund, obwohl die Frau nicht
sehr viel älter war als sie selbst. "Nein, tut mir leid. Das hat er mir
nie erzählt."
"Er hat Ihnen nie von dem Mädchen erzählt, mit dem er in
der Schulzeit zusammen war und das dann getötet wurde?" Max' Stimme klang
so ruhig wie immer. "Das überrascht mich aber."
"Philip hat nie viel von früher erzählt. Er hat sehr …
im Heute gelebt." Sie zuckte die Achseln. "Vielleicht hat er es auch
verdrängt."
Lina musterte Katja Ansmann argwöhnisch. Er hat nie viel von
früher erzählt? Das mochte vielleicht für
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