Mordwoche (German Edition)
Parfümeuren der Welt komponiert. Es gab sicher eine Zutatenliste, die für jeden Haustyp einen einzigartigen Geruch vorsah. Die Schubartstraße Nummer 5 roch nach altem Linoleumboden mit einem Hauch von Scheuermilch, im Abgang war noch eine kleine Essenz Haus-Mief zu erkennen. Wenn man allerdings sein ganzes Leben hier wohnte, dann roch man dieses Potpourri der Spießigkeit nicht mehr. Georg Haller hatte auch kein Auge mehr für die dekorative Gestaltung der Treppenabsätze. Liebevoll drapierte Nierentische, auf denen sich Gummibäume sehnsüchtig dem spärlichen Licht aus den bunt verglasten Scheiben entgegenreckten, sorgten dafür, dass man nur auf den Treppenstufen aneinander vorbeigehen konnte. Bei den obligatorischen Treppenhausgesprächen, die noch häufiger stattfanden, nachdem fast alle Bewohner des Hauses in Rente gegangen waren, stand man entweder auf der Treppe oder zwischen zwei Wohnungstüren.
„Grüß Gott, Frau Helmle.“ „Ja grüß’ dich Schorsch. Gell, du Ärmster, du musch immer so früh raus.“ In der Schubartstraße Nummer 5 war der Hauptkommissar nur „der Schorsch“, alle duzten ihn und das hatte sich auch nicht geändert, als er längst erwachsen und bei der Polizei war. Frau Helmles kleiner fideler Mops sprang auf den Hauptkommissar zu und begann, an seinem Hosenbein rumzuzerren. „Ernschdle, jetzt lass den Schorsch in Ruhe! Aus! Böses Hundle!“ Ernst hätte wohl besser Frech geheißen. Aber der Mops hatte es einfach zu gut bei Frau Helmle und durfte dort alles, was ein Mops-Herz erfreute. Kein Wunder, dass Selbstdisziplin und Gehorsam da Fehlanzeige waren. Nur eine kurze Leine bewahrten Georg Hallers Hosenbeine vor einem modischen Fransenlook, der allerdings gar nicht so schlecht zu seinem Siebzigerjahre-Hemd gepasst hätte. Frau Helme lebte allein und Ernschdle hatte ihren Mann Ernst beerbt. Obwohl der Mops sicher viel zu hören bekam im Laufe des Tages fielen seine Antworten eher wortkarg aus. Deshalb freute sich die alte Dame umso mehr, wenn sie einen Gesprächspartner im Treppenhaus traf. Unter einer halben Stunde schaffte man eigentlich nie den Absprung. Und selbst wenn man sich dann irgendwann unter einem Vorwand verabschiedete, kam man sich noch ziemlich unhöflich vor.
„Ich kann mich noch genau daran erinnern, als du noch zur Schule gingst, da warst du fast jeden Morgen spät dran. Deine Mutter hat dir dann immer schon dein Fahrrad aus dem Keller geholt, damit du es noch pünktlich zum Unterricht geschafft hast.“ Georg Haller verkniff sich ein gequältes Stöhnen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, Geschichten aus seiner Kindheit! Jetzt blieb nur noch die schnelle Flucht nach vorn, sonst war es zu spät. „Frau Helmle, ein andermal gern, aber jetzt pressiert’s mir wirklich, ich muss zur Arbeit.“ „Schon recht, Junge. Wir sind alle stolz auf dich hier.“ Der Hauptkommissar hörte nur noch, wie Frau Helmle ihr Ernschdle weiter die Treppen hinaufzog und ihm gut zuredete. Der alte Knabe war eben auch schon ein wenig in die Jahre gekommen. Er konnte zwar noch die Zähne fletschen, aber für den ganz großen Aufstieg reichten die Kräfte dann doch nicht mehr. Armer Hund!
Auf den letzten Treppenstufen beeilte sich Georg Haller; jetzt nur keine weitere Verzögerung! Unten angekommen blieb er allerdings doch noch einmal stehen. An der Pinnwand der Hausverwaltung hing am Kästchen mit seinem Namen das Schild „Kehrwoche“. Auch das noch! Früher hatte sich immer Georgs Mutter um die Treppenhausreinigung gekümmert, die im Wechsel von allen Hausparteien vorgenommen werden musste. Und es traf ihn doppelt. Er musste auch noch die „große Kehrwoche“ machen, das hieß: Nass wischen. Wenn alle hier im Haus so scharf darauf waren, ihm seine Mutter zu ersetzen, warum übernahm dann nicht eine der Superhausfrauen seine Kehrwoche? Georg Haller seufzte und trat ins Freie.
Der Neuschnee war schon fein säuberlich vom Hauseingang weggefegt. Herr Ebert winkte ihm mit dem Besen in der Hand vom Bürgersteig aus zu. „Grüß Gott, Schorsch. Bist ein bisschen spät dran, gell?“ Nicht noch einer, dachte der Hauptkommissar, schluckte seinen Kommentar allerdings herunter, als er sah, dass Herr Ebert sein Auto bereits von Schnee und Eis befreit hatte. Alle Scheiben waren pikobello sauber. Der Rentner lächelte zufrieden. „Ich weiß doch, dass du’s immer eilig hast, am Morgen.“ „Danke, Herr Ebert, das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen.“ „Nichts da,
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