Mordwoche (German Edition)
Badezimmerschrank. Oberstes Fach ganz hinten. Ich habe sie jedenfalls nicht rausgenommen.“ Elfi wollte das Thema so schnell wie möglich abhaken. Für Katrin gab es jetzt kein Drumherum mehr, sie musste gestehen. „Ich habe die Gift-Kapsel nicht mehr, Papa.“ „Katrin, damit macht man keine Scherze, ich will das Ding ja nicht gleich schlucken. Du kannst sie mir ruhig geben.“ Karl Merz wusste, dass er seinen Frauen eine schwere Bürde zu tragen gab. Es hatte ihn einige Überredungskünste gekostet, seine Töchter überhaupt so weit zu bekommen, ihm das Gift zu besorgen. „Ich habe sie wirklich nicht mehr, das war kein Scherz.“ Plötzlich schien alle Zuversicht aus Karl gewichen zu sein und er lehnte sich mit einem Seufzer zurück in die Polster. Er hatte nicht die Kraft, um wütend zu werden und so fragte er nur leise: „Was hast du mit dem Ding gemacht?“
Katrin hätte es ihrem Vater lieber unter vier Augen erklärt, aber die Situation war nun einmal wie sie war. Alle schauten sie gespannt an. Die junge Frau räusperte sich. „Als du mir die Kapsel zur Aufbewahrung gegeben hast, habe ich sie bei uns im Kleiderschrank eingeschlossen. Jeden Morgen, wenn ich mir meine Garderobe für den Tag rausgesucht habe, habe ich das kleine Kästchen gesehen. Anfangs konnte ich es ignorieren. Als es dir immer schlechter ging im letzten Sommer, fürchtete ich, dass du mich vielleicht bald bitten könntest, dir das Gift zu geben. Als ihr dann die Kreuzfahrt unternommen habt, wurde es ganz schlimm. Du hättest dich mal sehen sollen, Papa. Es sah wirklich so aus, als ob das dein letzter Urlaub sein würde. Ich war fest davon überzeugt, dass du nach deiner Rückkehr Schluss machen willst.“ „Wie ihr alle seht, bin ich noch da. Ich bin ziemlich lebendig und habe nicht vor, so bald abzutreten.“
Da war sie schon wieder, diese schwächliche Empfindsamkeit, die Elfi Merz so überhaupt nicht ausstehen konnte. Nicht einmal eine Pillendose konnte man ihrer Tochter zur Aufbewahrung geben! „Was ist denn jetzt mit der Gift-Kapsel passiert, Schätzchen?“ Elfi sah ihre Tochter ungeduldig an. Diese hatte das Gefühl, sich vor einem strengen Tribunal verteidigen zu müssen. „Ich finde die Idee vom selbstbestimmten Sterben grundsätzlich gut. Wenn jemand unheilbar krank ist und leidet, dann sollte er auch gehen dürfen. Niemand sollte gezwungen sein, Schmerzen zu haben. Allerdings hat mir der Gedanke, dass ich vielleicht für Papas Tod verantwortlich sein könnte, dann doch keine Ruhe gelassen. Ich musste mir einfach Klarheit verschaffen, ob ich die Gift-Kapsel oder ein Placebo hatte. Als ich während eures Urlaubs das Haus gehütet habe, habe ich Pluto die Kapsel in den Fressnapf getan. Ich konnte vor Sorgen keinen klaren Gedanken mehr fassen. Im Ernstfall wäre dieser Abgang für ihn sicher eine Erlösung gewesen. Er ist schließlich auch nicht mehr der Fitteste.“ Elfi und schrie empört auf: „Du wolltest meinen Pluto vergiften?“ Sie beugte sich zu dem Hund herunter, der sich über Karls Füße gelegt hatte und eingeschlafen war. Die Liebkosungen von seinem Frauchen waren ihm gerade überhaupt nicht willkommen und er knurrte unwillig. „Armes Hundi, wollte dich die böse Katrin einfach in den Hundehimmel schicken. Hasemausebärchen, bist doch Mamas Bester!“ Auch hier bewies Elfi wieder einmal, dass Sensibilität nicht zu ihren Stärken gehörte. Pluto konnte sich nicht anders wehren, als mit hängendem Kopf seinen Lieblingsplatz zu verlassen und ins Esszimmer zu trotten um sich dort unter der Heizung zusammenzurollen.
Karl versuchte, seine Frau zu beschwichtigen: „Es ist doch alles in Ordnung, Elfi. Der Hund lebt doch noch.“ Er wollte das Thema so schnell wie möglich wechseln, schließlich war Weihnachten, vielleicht war es sein letztes. Er stand auf und stellte die Pillendose oben in die Schrankwand neben den Nippes, den Elfi dekorativ verteilt hatte. „So, jetzt könnten wir doch eigentlich mit der Bescherung beginnen. Es wird schon langsam dämmrig. Soll ich die Kinder rufen?“ „Einen Augenblick noch, Papa. Setzt dich nochmal zu uns, ich muss dir auch noch was sagen.“ Karl hatte eigentlich keine Lust mehr auf weitere Überraschungen, er wollte jetzt die glänzenden Augen seiner Enkel beim Geschenkeauspacken sehen, sich am Kerzenschein des Tannenbaums erfreuen und den Abend am großen Esstisch mit seiner Familie verbringen.
Susanne rutschte nervös auf ihrem Platz hin und her und hatte ebenso rote
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