Mordwoche (German Edition)
morgen weitersprechen.“ Die Atmosphäre im Wohnzimmer der Unternehmer-Villa hatte den Wohlfühlfaktor eines Gefrierschranks erreicht. Den diplomatischen Versuch von Alex ließ Karl Merz ohne weiteren Kommentar an sich abprallen. Er ging mit keinem Wort auf sie ein, sondern wandte sich an Susanne. „Wenn du alles, was du in diesem Haus an Erziehung und Werten mitbekommen hast, so mit Füßen trittst, dann bist du nicht mehr meine Tochter!“ Alle zuckten unter dem Paukenschlag des väterlichen Richterspruchs zusammen. Das hatte gesessen!
„Karl es reicht! Das wagst du nicht!“ Elfi Merz rang förmlich nach Luft und holte zum Gegenschlag aus. „Du kannst keine Tochter verstoßen, die nie dein Kind war. Ja, du hast ganz richtig gehört. Susanne ist nicht deine Tochter. Sie ist ein Kind der Liebe. Weißt du überhaupt, was das ist?“ Die beiden Ehepartner standen sich gegenüber, unversöhnlicher Hass blitzte aus Elfis Augen.
Ob das die wahre Elfi Merz war? Kam das zum Vorschein, wenn die gutsituierte Unternehmer-Gattin ihre Fassade fallen ließ? Alex konnte solchen Situationen, in denen unverfälschte Emotionen das wahre Gesicht der Menschen zeigten, viel abgewinnen. Das war zwar nicht immer schön, aber immer interessant. Diese Szene hätte sie allen Beteiligten aber gern erspart.
Susanne war weit davon entfernt, das Geschehen von einer ähnlich neutralen Warte aus zu verfolgen. Das Geständnis ihrer Mutter hatte sie kalt erwischt. Sie musste sich setzen. Karl war nicht ihr Vater? Susanne wandte sich fragend an ihre Mutter. „Was hast du da eben gesagt, Mama?“ Doch Elfi Merz beachtete ihre Tochter nicht, sie stand ihrem Mann gegenüber und wollte endlich loswerden, was sie ihm so oft schon hatte sagen wollen. Viel zu lange hatte sie auf diese Gelegenheit gewartet.
„Ja schau nicht so! Du hast dich nicht verhört. Susanne ist nicht deine Tochter! Punkt.“ Frank rutschte nervös auf seinem Platz hin und her. Er war sich nicht sicher, ob er Zeuge sein sollte, wenn sein Mentor derart die Leviten gelesen bekam. Sollte er bleiben, um Karl zu demonstrieren, dass er nicht allein war in dieser schweren Stunde oder sollte er gehen, um ihm die Peinlichkeit eines weiteren Zuhörers zu ersparen? Unschlüssig, welche Entscheidung er treffen sollte, griff er in die Schale mit Erdnüssen, die seine Schwiegermutter auf den Tisch gestellt hatte und begann sie zu essen. Katrin stieß ihm den Ellbogen in die Rippen und raunte ihm zu, dass sie hier doch nicht im Kino seien und er gefälligst das Knabbern sein lassen solle. Frank fügte sich und weil er sie nicht wieder zurücklegen wollte, behielt er die restlichen gesalzenen Kerne in seiner Faust.
Frank Ohler seufzte, seine Schwiegermutter war unerträglich. Wie schön hätte dieser Nachmittag sein können, wenn der Drachen, wie Frank seine Schwiegermutter immer dann nannte, wenn sich Katrin mal wieder über ihre Mutter aufregte, sich im Zaun gehalten hätte. Sie hätten nach dem Aperitif ein wenig small talk gehalten, den Plätzchenteller aus der Konditorei Huber niedergemacht, Elfi hatte noch nie selbst gebacken, und den Heiligabend nach der Bescherung mit dem obligatorischen Fondue beendet. Das Leben konnte doch so schön sein und so einfach ohne Elfi Merz, ohne die Kreditforderungen der Bank und ohne den jährlich ein wenig anwachsenden Bauchumfang des zukünftigen Autohaus-Erben.
Elfi Merz war noch lange nicht fertig mit ihrem Mann. „Du wolltest doch nur eine vorzeigbare Frau, mit der du angeben kannst. Und die anderen Männer haben dich beneidet, das weißt du so gut wie ich. Wie froh deine Eltern waren, dass ihr Thronerbe endlich auch eine Frau gefunden hatte! Du wusstest von Anfang an, dass du keine Heilige geheiratet hast. Und geschadet hat es dir schließlich auch nicht. Wenn ich mich nicht so gut mit der Kundschaft verstanden hätte, wäre dein Gewinn bei weitem nicht so groß gewesen. Mit dem Geschäft ist es erst dann so richtig bergauf gegangen, seit ich mitgearbeitet habe. Die Konkurrenten haben wir doch alle links liegen lassen.“
Karl interessierte sich nicht für die Ausführungen seiner Frau, er konnte es nicht mehr ertragen, dass sie die alleinige Deutungshoheit über ihr Leben für sich beanspruchte. Ihr Geschwätz war ihm unerträglich, ihre Stimme zu schrill, ihre ganze Erscheinung verursachte ihm plötzlich körperliche Schmerzen. Er wollte nur eins wissen: „Wer ist es gewesen?“ „Er war ganz anders als du. Ich...“
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