Mordwoche (German Edition)
Sande verlaufen, wenn sie der Kundin keine weiteren Stichworte mehr lieferte. Sonst waren Gerda König Allgemeinplätze verhasst, aber heute griff sie im Gespräch dankbar zu den austauschbaren Floskeln. „Das ist schon schlimm, wenn es kein gutes Einvernehmen mit den Angestellten gibt. Da leidet dann auch das Geschäft.“
Otto König war in die Damenabteilung gekommen. „Kannst du gleich, wenn du hier fertig bist, raufkommen? Der Herr möchte sich gern die Fingernägel machen lassen.“ „Ja, ich föhne noch zu Ende und dann komme ich. Vielleicht will der Mann in der Zwischenzeit einen Kaffee und was zu lesen? Frag ihn doch mal, ob man ihm was bringen kann.“ Diesen Botengang hätten alle Angestellten liebend gern übernommen und hinter den Kulissen, in der Kaffeeküche, gerieten die Frauen fast aneinander. Jede von ihnen hätte den Fremden gern bedient. Dieses Theater war Otto König zu viel, er sprach ein Machtwort und schickte die einzige unverheiratete Mitarbeiterin zu dem schönen Südländer. Man konnte nie vorsichtig genug sein! Schließlich wollte er nicht für irgendwelche Ehe-Dramen verantwortlich gemacht werden. Die Tote vor dem Salon reichte ihm. „Die Nicki soll ihm einen Kaffee bringen und etwas zu lesen.“ Die junge Frau ließ sich das nicht zweimal sagen und erntete neidische Blicke von ihren Kolleginnen.
Heute waren doch alle verrückt! Erst die Polizei im Haus und jetzt so ein Hühnerhaufen und das nur wegen eines Mannes, der vielleicht ein bisschen besser aussah als der Durchschnittstyp in Bärlingen, ging es Otto König durch den Kopf. Auf dem Rückweg in die Herrenabteilung blieb er noch einmal kurz bei seiner Frau stehen. Eigentlich waren sich die Eheleute einig, dass Vertraulichkeiten im Salon nichts zu suchen hatten. Aber heute war alles anders. Und deshalb legte Otto seiner Gerda beide Hände von hinten auf die Schultern und flüsterte ihr ins Ohr. „Alles wird gut.“ Sie lächelte ihn dankbar an. Sollten doch alle diesen Kerl im lockigen Haar mit ihren Blicken verzehren. Sie wusste, dass sie mit ihrem Otto keine bessere Wahl hätte treffen können.
Die Tür ging auf und die Ladenglocke bimmelte. „Jetzt bin ich schon wieder da, Herr König. Ich habe vorhin meinen Schirm vergessen. Ich dachte, heute schneit es noch und habe ihn deshalb vorsichtshalber mitgenommen. Jetzt ist es zum Glück trocken. Der Schirm steht hoffentlich noch in der Garderobe.“ „Einen Moment, Herr Ebert. Das haben wir gleich. Ich sehe mal nach und bringe Ihnen den Schirm.“ Otto König ging zur Garderobe und schob mit einer Hand die Mäntel zur Seite, um an den Schirmständer zu kommen. Dabei glitt ihm die wattierte Steppjacke des Italieners vom Bügel und fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden. Der Friseur erschrak. Hoffentlich war nichts kaputt gegangen. Dass die Leute sich aber auch immer die Taschen vollstopfen mussten! Er bückte sich, um das Kleidungsstück wieder an seinen Platz zu hängen. Die Jacke war schwerer, als das leichte Material es vermuten ließ. Als Otto König den Bügel in die Ärmel stecken wollte und die Jacke dabei öffnete, sah er auch, was der Italiener in der Innentasche seiner Jacke versteckt hatte. Aus dem Reißverschlussfach ragte der Griff einer Pistole heraus.
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Das Arbeitszimmer im Hause Merz war Karls Reich. Hierher konnte er sich zurückziehen, wenn ihn seine Frau wieder einmal mit ihren belanglosen Geschichten über die Gattinnen der Bärlinger „High Society“ ermüdete. Vor dem Fenster, das zum Vorgarten ausgerichtet war, stand ein großer schwerer Schreibtisch. Gediegenes Herrenzimmer-Ambiente. Karl Merz war froh, hier einen Rückzugsort zu haben, der von der Dekorationsleidenschaft seiner Frau verschont blieb. Wo sich überall sonst im Haus Ensembles aus Windlichtern, Vasen und Keramik-Figuren fanden, herrschte hier eine wohltuende Schlichtheit. An der Wand hing nur ein großformatiges Aquarell einer italienischen Landschaft im Abendlicht, ein Geschenk seines Freundes Adriano Felice. Früher hatte sich Karl Merz in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, um in Ruhe wichtige Telefonate mit Kunden und Zulieferern zu führen oder Zeitung zu lesen. Elfi und die Kinder wussten, dass Papa nicht gestört werden wollte, wenn er im „Büro“ war. Während dieser ruhigen Stunden, die er hier verbrachte, hatte Karl Merz auch die eine oder andere Zigarre geraucht, ein Vergnügen, das er sich seit seiner Krebserkrankung versagte.
Karl
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