Mordwoche (German Edition)
gebeten hatten, dass die Trauergäste von diesem Ritual Abstand nehmen sollten, würden es sich die Bärlinger nicht nehmen lassen, die Hinterbliebenen persönlich in Augenschein zu nehmen. Das gehörte hier einfach zu einer Beerdigung dazu. Schließlich wollte man doch mit eigenen Augen sehen, ob die Familie auch gebührend trauerte. Katrin sah zu ihrer Schwester herüber. Die hatte ihre Hand in die von Alex gelegt. Ja, die beiden gehörten zusammen. Sollten sich die Bärlinger ruhig das Maul darüber zerreißen. Familie war Familie. Und Alex gehörte jetzt dazu.
Gerda König trat von einem Bein aufs andere. In den langen Berufsjahren hatte sie sich schon daran gewöhnt, viel zu stehen. Aber es war etwas anderes, wenn man zwischendurch in Bewegung war oder wenn man still auf der Stelle stehen musste. Zum Glück war das Ende der Zeremonie abzusehen, dachte die Friseurin.
Karl Merz hatte sich dagegen entschieden, bei seiner Beerdigung eine Messe lesen zu lassen. Er war zwar nicht aus der Kirche ausgetreten und zahlte jedes Jahr einen größeren Betrag Kirchensteuer, aber er hatte keinen Bezug mehr zur Religion. Die Krankheit hatte seinen Glauben an Gott so nachhaltig erschüttert, dass er seinen letzten Weg mit so wenig „Kirchenbrimborium“ wie möglich hinter sich bringen wollte. An einen Gott, der den Menschen Krankheiten und Schmerzen brachte, wollte Karl nicht mehr seine Hoffnung auf eine Besserung hängen. Und nur auf eine Erlösung im Jenseits zu setzen widersprach der Macher-Mentalität des Geschäftsmannes.
Was sein Auftraggeber wohl für ein Mensch gewesen war? Stefano Zanolla interessierte sich sehr für die Geschichten, die hinter seinen Aufträgen steckten. Er wollte wissen, was der Täter mit seiner Hilfe erreichen wollte. Es war Teil seiner Bedingung, dass er mit den Zielen seiner Auftraggeber einverstanden sein musste. Und dieser Karl Merz hatte sehr gute Gründe, warum er ihn als „Problemlöser“ engagiert hatte. Warum es dem Mann allerdings so wichtig war, dass ein Auftrag erst nach seinem Tod ausgeführt wurde, das blieb dem Sizilianer ein Rätsel. Mit Grübeln konnte er sich jetzt allerdings nicht aufhalten, die Zeit lief und er musste seine Vorbereitungen treffen.
Anfangs hatte Stefano sich das Metier ausgesucht, weil hier das schnelle Geld winkte und er arbeitslos und verzweifelt war. Mittlerweile wusste er seine neue Tätigkeit durchaus zu schätzen. Er arbeitete ein paar Tage und konnte dann wieder einige Monate unbehelligt bei seiner Familie leben und den Tag damit verbringen, zu fischen und mit den Kindern am Strand zu toben. Dann waren die Aufträge ganz weit weg und Stefano Zanolla erholte sich von den schweren Stunden, die er in Deutschland verbracht hatte. Die Jobs, die Adriano ihm vermittelte, waren lukrativ. Die Auftraggeber ließen sich nicht lumpen und Adriano wusste, dass er mit seiner Sizilien-Connection noch nie Schiffbruch erlitten hatte.
Stefano war der Neuzugang in der Riege der italienischen Gastarbeiter, die der Venezia -Wirt im Vertrauen an gute Bekannte vermittelte. Adriano war schon ein seltsamer Vogel, dachte sich Stefano, als er sein Präzisionsgewehr und den Schalldämpferaus der Schutzhülle holte. Große Klappe, aber wenn es ans Eingemachte ging, hatte er die Hosen voll. Stefano hatte genau gemerkt, dass Adriano sich brennend dafür interessierte, welche Informationen er ihm gestern in dem verschlossenen Umschlag überreicht hatte. Es war dem kleinen Italiener offensichtlich peinlich, ihn direkt danach zu fragen, wer sein Opfer sein sollte. Er bemühte sich, sein Gesicht zu wahren und abgebrüht zu erscheinen. Aber die Art, wie Adriano die ganze Zeit unruhig auf- und abgelaufen war, seit sie die oberste Wohnung seines neuen Hauses betreten hatten, hatte Stefano verraten, dass er bei weitem nicht so cool war, wie er ihn glauben machen wollte. Mord ist nicht gleich Mord. Wenn er vor der eigenen Haustür stattfindet, dann hatte Stefano Verständnis dafür, dass die mühsam gewahrte Fassade bröckelte. Aber Adriano fragte nicht und Stefano war froh, dass er nicht antworten musste.
Peter Fuchs war nur in die kleine Kapelle getreten, weil es begonnen hatte, zu schneien. Er hatte die ganze Nacht überlegt, ob er überhaupt zu der Beerdigung gehen sollte und wenn ja, ob das der richtige Zeitpunkt wäre, seine Identität preis zu geben. Schließlich wusste er auch erst seit gestern Nachmittag, dass er eine Tochter mit Namen Susanne hatte. Nachdem er von
Weitere Kostenlose Bücher