Mordwoche (German Edition)
der Welt, dass sie sich mit ihrer Frau in der Öffentlichkeit zeigte. Und wenn ihr Vater ihnen seinen Segen gegeben hatte, dann hätte es ihm vielleicht sogar eine diebische Freude bereitet, wenn er jetzt die verstörten Blicke der Bärlinger sehen könnte.
Endlich ging es los. Stefano Zanolla kniff das linke Auge zu und schaute durch das Zielfernrohr, das er genau auf den Ausgang der Aussegnungshalle gerichtet hatte. So konnte er alle Herauskommenden in Augenschein nehmen. An dieser Stelle hatte er die besten Chancen, in die Gesichter der Anwesenden zu schauen. Später würde er vielleicht nur noch die Rücken zu sehen bekommen. Dann musste er sich sicher sein, wem sein Schuss zu gelten hatte. Sein Auftraggeber hatte verfügt, dass der tödliche Treffer direkt am Grab erfolgen sollte. Hier mussten Gefühle ganz tief verletzt worden sein, sonst wählte niemand so eine große Bühne für seine Rache. Aber darüber hatte Stefano Zanolla nicht zu urteilen. Er führte nur das aus, wozu seinen Auftraggebern, der Mut, die Gelegenheit oder die Fähigkeit fehlte. Eine Dienstleistung. Mehr war es nicht, was er hier erbrachte.
Es war bereits dämmrig, als sich der lange Trauerzug in Richtung Grab in Bewegung setzte. Adriano war nicht wohl bei dem Gedanken, jetzt quer über den Friedhof zu laufen, immer im Schussfeld eines Profi-Killers. Jetzt spielte es auch keine Rolle mehr, dass Stefano sein Freund war und dass er ihm diese einträgliche Erwerbsquelle eröffnet hatte. Jetzt hatte Adriano einfach nur noch Angst, die er allerdings niemandem anvertrauen konnte. Er saß in der Falle. Kurz bevor sie aus der Kapelle treten konnten, beugte er sich zu seiner Frau. „Schatz, ich komme gleich nach. Ich habe total vergessen, mich bei Mario zu melden. Es geht um ein wirklich großes Geschäft. Ein kurzes Telefonat und ich komme nach. Versprochen. Es geht nicht anders. Es ist wirklich ein ganz dicker Fisch, den wir da an der Angel haben.“
Die Italienerin verdrehte die Augen. Wie konnte ihr Mann nur? Ausgerechnet jetzt, wo es wirklich losging! Sie wusste aber, dass sie ihm hier unmöglich die Szene machen konnte, nach der ihr im Augenblick zumute war. Es blieb ihr nichts anderes übrig als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Aber zwischen den Zähnen raunte sie ihrem Mann ein deftiges italienisches Schimpfwort zu und stolzierte hocherhobenen Hauptes davon. Adriano schaute ihr nach und sah noch, wie sie sich bei Otto König einhakte. Der musste zusammen mit seiner Frau ebenfalls im hinteren Bereich der Aussegnungshalle gestanden haben.
Valentina hätte Adriano in diesem Moment zwar auf den Mond schießen mögen, aber wenigstens hatte sie jetzt eine Position ganz vorn am Geschehen und konnte alles aus nächster Nähe sehen. Noch wichtiger war ihr allerdings, dass jeder sie sehen konnte. Diesen Auftritt wollte sie sich nicht nehmen lassen und zur Not würde sie die große Bühne, die jetzt vor ihr lag auch am Arm des Friseurs betreten. Auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, Valentina Felice war glücklich.
Adriano stellte sich mit dem Rücken an die Wand der Aussegnungshalle und wartete darauf, dass die Trauergäste alle gegangen waren. Er schloss die Augen. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Als er allein war, setzte sich der Venezia -Wirt in die erste Reihe und betrachtete das Foto seines verstorbenen Kumpels Karl. Was für ein Spiel wurde hier gespielt? Warum hatte Karl so ein Geheimnis um diesen Auftrag gemacht? Hatte er ihm vielleicht doch nicht vertraut? Warum hätte er dann aber diese Art von Geschäften, über die man nicht in der Öffentlichkeit sprach, mit ihm gemacht? Und es waren nicht wenige Geschäfte gewesen, die sie miteinander abgeschlossen hatten. Adriano hatte Karl immer als seinen Freund betrachtet, jetzt aber schien es ihm, als habe er den Verstorbenen gar nicht gekannt. Sie hatten nie etwas zusammen mit ihren Familien unternommen. Warum eigentlich nicht? War er Karl nicht gut genug gewesen? Hatte er in ihm nur den Pizza-Bäcker gesehen, der gerade gut genug für krumme aber umso profitablere Geschäfte war? Hatte er ihn wie so viele andere der besseren Bärlinger Gesellschaft vielleicht auch hinter seinem Rücken belächelt und auf ihn herabgesehen? Adriano war nicht dumm. Es war ihm durchaus bewusst, dass die Felices mit ihrem südländischen Temperament immer wieder aneckten im geordneten schwäbischen Alltag. Er hatte für sich beschlossen, über die kleinen und großen Kränkungen
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