Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
sich still daran wärmte. Er hatte sich auf die Lippen gebissen, hatte verstohlen geübt, hatte sich nur auf sich selbst verlassen, bis er die Ehre des Kriegerzopfes errang und die Gebote der
uyin-Ehie
Kandrys und Erij mehr und mehr davon abhielten, ihren Halbbruder zu quälen.
Aber ihre Blicke waren unverändert – die kaum wahrnehmbaren, haßerfüllten Blicke, die verstohlene Verachtung, die zum Ausdruck kam, wenn er einen Fehler beging, der seine Ehre berührte.
Selbst die Chya stellten ihm ähnlich nach – sie rochen die Angst und scheuchten sie auf, wie Wölfe, die ein Reh wittern.
Zugleich war da etwas in Vanye, das ihm den Lord von Chya sympathisch machte, diesen Mann, der ihm so ähnlich war, der seine Verwandschaft in Gesicht und Haltung offenbarte. Roh war ein legitimer Sohn; Rohs Vater hatte Lady Ilel praktisch ihrem Schicksal überlassen als Gefangene Rijans, dessen Bastard sie im Leibe trug, ein Kind, das auf keinen Fall zurückkehren und die Reinheit der Chya in Frage stellen durfte – im Wettbewerb zu seinem Sohn Roh.
Die Chya fürchteten ihn und spürten zugleich seine Angst und wären ihm an die Kehle gegangen, hätten sie gegenüber Morgaine nicht in der Schuld gestanden.
Tief in der Nacht wurde sein unruhiger Schlummer von einem gestiefelten Fuß gestört, der knirschend auf ein Aschestück neben seinem Kopf trat. Er stemmte sich auf den Arm hoch, während Roh neben ihm in die Hocke ging und auf ihn herabblickte. Erschrocken griff er nach dem Schwert; Roh packte seine Hand und drückte den Griff nach unten.
»Ihr seid von Leth gekommen«, sagte Roh leise. »Wo hast du sie getroffen?«
»Bei Aenor-Pywn«, sagte Vanye. Er richtete sich auf, zog die Füße unter sich, strich sich das lockere Haar aus den Augen. »Und ich meine immer noch, du solltest Morgaine selbst nach ihren Plänen fragen, nicht ihren Diener.«
Roh nickte langsam. »Einiges kann ich mir zusammenreimen. Daß sie noch immer die alten Ziele verfolgt, wie immer sie ausgesehen haben mögen. Sie wird dir den Tod bringen, Nhi Vanye i Chya. Aber das weißt du ja bereits. Bring sie morgen früh so schnell wie möglich von hier fort. Schon bedrängen uns die Leth an den Grenzen. Wir haben Berichte erhalten. Männer sind umgekommen. Liell will Morgaine aufhalten, wenn er kann. Und der Preis an Chya-Menschenleben, den wir heute zu zahlen gewillt sind, ist nicht hoch!«
Vanye starrte in die braunen Augen seines Cousins und fand dort eine widerstrebende Anerkennung: zum erstenmal redete dieser Mann mit ihm, als hätte er noch die Würde eines
uyo
aus dem hohen Klan. Es war, als hätte er sich doch nicht gar so jämmerlich geschlagen, als bestätigte Roh eine Art Beziehung zwischen ihnen. Er atmete tief ein und ließ die Luft wieder heraus.
»Was weißt du von Liell?« fragte er Roh. »Ist er ein Chya?«
»Es gab einmal einen Chya Liell«, antwortete Roh. »Unser Liell war ein guter Mann, ehe er Berater in Leth wurde.« Roh blickte zu Boden und hob den Blick wieder; auf seinem Gesicht stand ein Ausdruck des Abscheus. »Ich weiß es nicht. Es heißt, es wäre derselbe Mann. Es wird behauptet, der Mann in Leth wäre
qujal.
Er wäre
alt –
so wie Thiye von Hjemur. Ich kann dir nur sagen, daß er in Leth die Macht verkörpert. Aber wenn du aus diesem Land kommst, weißt du das selbst. Zeitweise ist er ein ruhiger Feind, und wenn die schlimmsten Ungeheuer in Koriswald auftauchen, die schlimmsten Abgesandten Thiyes, dann sind Liells Leute nicht weniger eifrig bemüht, Koris von der Plage zu befreien; zuweilen gilt zwischen uns der Frieden der Jäger, zum gegenseitigen Vorteil. Aber daß wir Morgaine Unterkunft gewährt haben, wird die Beziehungen zwischen Leth und Chya nicht gerade verbessern.«
»Ich glaube den Gerüchten«, sagte Vanye endlich. Ein seltsames Gefühl der Kälte breitete sich in seinem Magen aus, als er an das Seeufer dachte.
»Bis heute nacht habe ich sie nicht geglaubt«, meinte Roh, »bis
sie
in unsere Halle kam.«
»Wir reiten morgen weiter«, sagte Vanye.
Roh musterte ihn noch eine Sekunde lang. »Du hast Chyablut in den Adern«, sagte er. »Cousin, ich habe Mitleid mit dir, mit deinem Geschick. Wie lange währt dein Dienst bei ihr noch?«
»Mein Jahr hat eben erst begonnen«, antwortete Vanye.
Und zwischen ihnen stand die wortlose Erkenntnis, daß dieses Jahr sein letztes sein würde, begleitet von einem traurigen Kopfschütteln Rohs.
»Sollte es dazu kommen«, sagte Roh, »sollte es dazu kommen, daß du
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