Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
Zri.«
»Aye. Zri ist es, und bis zum Ende meiner Tage werde ich das glauben, obwohl er, wenn es so war, in Hjemur schlechten Lohn fand. Er strebte nach einem Königreich, und was er schließlich erlangte, war nicht das vorgesehene.«
»Liell.« Vanye sprach den Namen fast ohne Nachdenken aus und spürte den plötzlichen Druck ihres Blicks.
»Wie kommst du auf ihn?«
»Roh sagte, es gebe Zweifel über den Mann. Daß Liell…
daß er
alt
sei,
liyo,
daß er so alt sei wie Thiye.«
In Morgaines Blick regte sich große Sorge. »Zri und Liell… Bemerkenswert unoriginell, alle Erben Leths zu ertränken – wenn es das wirklich war…«
Er erinnerte sich an das Tor, das oberhalb des Sees geschimmert hatte, und wußte, was sie meinte. Zweifel befielen ihn. Er wagte eine Frage, die ihm eigentlich gegen den Strich ging. -»Könntest du… nach dieser Art leben, wenn du wolltest?«
»Ja«, antwortete sie.
»Hast du es schon getan?«
»Nein.« Und als läse sie seine Gedanken, fügte sie hinzu: »Es geschieht mit Hilfe der Tore. Es ist keine Kleinigkeit, einen anderen Körper zu übernehmen. Ich weiß nicht genau, wie es gemacht wird, obwohl ich es mir vorstellen kann. Eine unangenehme Sache: der Körper muß ja einem anderen genommen werden, verstehst du. Und wenn das stimmt, wird Liell allmählich alt.«
Er erschauderte, als er an die Berührung von Liells Fingern dachte, an den Hunger – ja, schon damals hatte er den Blick als gierig interpretiert – in seinen Augen.
Komm mit mir, dann zeige ich es dir,
hatte er gesagt.
Sie raubt dir die Seele, ehe sie mit dir fertig ist. Komm mit mir, Chya Vanye. Sie lügt. Nicht zum erstenmal.
Komm mit.
Er hauchte eine Verwünschung, ein Gebet, irgend etwas, sprang unsicher auf, um einen Augenblick lang für sich zu sein, krank vor Entsetzen. Zum erstenmal spürte er seine Jugend, seine Fähigkeiten und Körperkräfte als etwas, das Ziel der Begierde eines anderen war.
Er kam sich schmutzig vor.
»Vanye«, sagte sie besorgt.
»Es heißt«, brachte er schließlich hervor und wandte sich um, »Thiye werde ebenfalls alt – er sähe aus wie ein alter Mann.«
»Wenn ich umkomme oder verschwinde«, sagte sie tonlos, »mußt du allein gegen Hjemur vorgehen – aber laß dich nicht gefangennehmen. Ich würde das auf keinen Fall zulassen, Vanye.«
-
»O Himmel!« murmelte er. Galle stieg in ihm empor. Urplötzlich begriff er, um welche hohen Einsätze es bei den Kriegen der
qujal
und der Menschen ging, und was ein Verlust kosten würde. Er starrte sie an – er mußte wie ein Ahnungsloser auf sie wirken – und stieß auf einen absoluten Mangel an Entsetzen.
»Würdest du es tun?« fragte er.
»Ich glaube, eines Tages würde ich mich wohl mit dem Gedanken anfreunden müssen, um mein Ziel zu erreichen.«
Er fluchte. Fast hätte er sie in diesem Augenblick verlassen. Doch allmählich begann sie Sorge um ihn zu zeigen, jene kleinen Impulse der Menschlichkeit: nur das hielt ihn.
»Setz dich«, sagte sie, und er gehorchte.
»Vanye«, begann sie. »Ich habe nicht die Muße, den geraden Weg zu gehen. Ich versuche es, mit allem, was von mir noch übrig ist. Aber das ist nicht mehr viel. Was würdest
du
tun, wenn du stürbest und brauchtest nur die Hand zu heben und zu töten – nicht um einer verlängerten Greisenzeit willen voller Schmerzen und Krankheit, sondern für eine neue Jugend? Für die
qujal
gibt es kein Hinterher, keine Unsterblichkeit, sondern nur den Tod. Sie haben ihre Götter verloren, jeden Glauben, den sie früher einmal besessen haben mögen. Mehr gibt es nicht für sie – leben, die Freuden genießen, die Macht genießen.«
»Hast du mich belogen? Bist du ihres Blutes?«
»Nein, gelogen habe ich nicht. Ich bin keine
qujal.
Aber ich kenne sie. Zri…Zri… wenn du recht hast, Vanye, ist damit viel erklärt. Nicht um des Ehrgeizes willen, sondern aus Verzweiflung – zum Überleben. Um die Tore zu retten, von denen es abhängt. Danach hatte ich in ihm nicht gesucht. Was hat er unter vier Augen zu dir gesagt?«
»Nur daß ich dich verlassen und ihn begleiten sollte.«
»Nun, da warst du sehr vernünftig. Sonst…«
Und plötzlich war ihr Blick sehr reserviert, und sie zog die schwarze Waffe aus dem Gürtel: im ersten Augenblick nahm er an, sie habe einen Störenfried entdeckt, dann stellte er entsetzt fest, daß die Waffe auf ihn gerichtet war. In panischem Entsetzen erstarrte er, sein Gehirn war gelähmt bis auf den Gedanken, daß sie den Verstand verloren
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