Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
hatte, sie war im Begriff, Siptah zu satteln. Dabei trug sie
Wechselbalg im
Schultergurt, wie immer, wenn sie eine Situation nicht ganz geheuer fand.
»Ich habe ihr gesagt, daß sie uns begleitet«, sagte Morgaine, als er abstieg und die Decke auf den Rücken des Wallachs warf. Er schwieg, bedrückte ihn doch Morgaines Plan. Er bückte sich und zerrte den Sattel hoch, rückte ihn zurecht und griff unter dem Bauch nach dem Gurt. »Sie scheint damit einverstanden«, fuhr Morgaine fort, die entschlossen schien, ihn zu dem Thema einen Kommentar zu entlocken.
Er konzentrierte sich auf die Arbeit und wich ihrem Blick aus. »Wenigstens könnte sie auf meinem Pferd mitreiten«, sagte er schließlich. »Sie hat eine Kopfverletzung abbekommen. Diese Gunst sollten wir ihr gewähren — wenn du nichts dagegen hast.«
»Wie du willst«, antwortete Morgaine nach kurzem Schweigen. Sie rollte ihren weißen Mantel in die Hülle aus eingefettetem Leder und band ihn hinter dem Sattel fest. Sie zog noch einmal energisch an den Schnüren und war fertig; dann griff sie nach Siptahs Zügeln und führte das Pferd zum Feuer, wo Jhirun saß.
Jhirun hörte auf zu essen und saß da, den Brocken Brot unschlüssig in den Händen. Mit ihren großen Augen und dem verfilzten Haar sah sie aus wie ein winziges Tier, das in der Falle saß, doch in den Augen war dennoch ein harter Glanz. Nervös sah Vanye, wie Morgaine vor ihr stehenblieb.
»Wir sind fertig«, sagte Morgaine zu ihr. »Vanye läßt dich hinter sich reiten.«
»Ich kann mein Pony nehmen.«
»Tu, was man dir sagt!«
Stirnrunzelnd stand Jhirun auf und machte Anstalten, zu ihm zu kommen. Mit einer verstohlenen Bewegung griff Morgaine an ihren Gürtel. Vanye sah es und ließ die Satteltasche fallen, die er gerade angehoben hatte.
»Nein!« rief er.
Die Bewegung war schnell, das Mädchen im Gehen, Morgaines herumzuckende Hand, der Streifen roten Feuers. Jhirun schrie auf, als die Helligkeit den Baum neben ihr berührte, und Vanye packte den Zügel des Wallachs, der zu scheuen begann.
Morgaine steckte die Waffe in den Gürtel zurück. Vanye atmete zittrig ein, während seine Hände das erschrockene Pferd beruhigten. Jhirun aber bewegte sich nicht mehr, ihre Beine waren zu einem Schritt bespreizt, den sie nicht mehr gemacht hatte, die Arme um den gesenkten Kopf verschränkt.
»Wiederhole mir«, forderte Morgaine leise und deutlich hörbar, »daß du diese Gegend nicht kennst, Jhirun Elas-Tochter.«
Ohne die Hände vom Kopf zu nehmen, sank Jhirun auf die Knie. »Ich bin auf der Straße nie weiter als bis hierher gekommen«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich habe gehört, ich habe gehört, daß sie nach Shiuan führt, und das war vor der Flut. Genau weiß ich es nicht.«
»Und doch reist du darauf ohne Nahrung, ohne Mantel, ohne jede Reisevorbereitung. Du jagst und angelst. Wird dich das des Nachts warm halten? Warum reitest du auf dieser Straße?«
»Hiuaj geht unter«, antwortete Jhirun weinend. »Seit die Brunnen geschlossen wurden und der Mond zerbrach, steigt das Wasser immer höher über Hiuaj, und es wird bald alles verschlingen. Ich möchte nicht ertrinken.«
Ihre Worte hingen in der Luft, solide im Brausen des Windes, im unruhigen Stampfen und Schnauben der Pferde. Vanye sprach ein lautloses Gebet, der Himmel drückte ihm schwer auf die Seele.
»Wie lange ist dieser Untergang schon im Gange?« wollte Morgaine wissen.
Doch Jhirun wischte die Tränen fort, die ihr über die Wangen liefen, und schien zu einer vernünftigen Antwort nicht fähig zu sein.
»Wie lange?« wiederholte Morgaine barsch.
»Tausend Jahre.«
Morgaine starrte sie einen Augenblick lang an. »Diese Brunnen sind ein Ring aus Steinen, nicht wahr? Einer liegt hoch oberhalb des großen Flusses, und es muß noch einen zweiten geben, weiter nördlich, einen Hauptbrunnen. Kennst du seinen Namen?«
Jhirun nickte; die Hände hatte sie um ihr Halsband verkrampft, durchnäßte Federnfetzen, Metallstücke und Steinbrocken. »Abarais«, antwortete sie leise. »Abarais, in Shiuan.
Dai-khal, dai-khal,
der Quell von Shiuan, ich habe dir die Wahrheit gesagt, alles, was ich weiß. Ich habe alles gesagt.«
Morgaine runzelte die Stirn, näherte sich schließlich dem Mädchen und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen, doch Jhirun scheute weinend davor zurück. »Komm!« sagte Morgaine ungeduldig. »Ich tue dir nichts. Nur mach mir keinen Ärger. Am besten siehst du das sofort ein und nimmst dir nicht zuviel bei
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