Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
anstrengen, Schritt zu halten.
Zu seiner Erleichterung entdeckte er nun Morgaine. Sie hatte angehalten, eine vage sichtbare bleiche Gestalt auf der Straße unter dem Bogen der kahlen Bäume. Er gab dem Wallach die Sporen und ritt los, um die Distanz zu verkürzen. Ungeachtet der unebenen Straße spornte er das Tier zur Eile an.
Morgaine blickte in die Schatten, und als er neben ihr verhielt, drehte sie einfach Siptahs Kopf herum und ritt gemächlich auf der Straße weiter, ohne ihn zu beachten. Etwas anderes hätte er nicht erwartet; sie schuldete ihm nichts.
Sein Gesicht war zorngerötet, nicht zuletzt wegen Jhirun, die alles mitbekam. Das Mädchen klammerte sich an ihn, ihr Kopf ruhte auf seinem Rücken. Endlich merkte er, wie starr ihre Arme um ihn lagen, und berührte die fest verschränkten Hände. »Wir sind jetzt auf sicherem Grund«, sagte er. »Du kannst loslassen.«
Sie zitterte, das spürte er deutlich. »Wir reiten nach Shiuan«, sagte sie.
»Ja«, antwortete er. »Sieht so aus.«
Donner grollte und ließ die Pferde tänzeln, Regentropfen platschten auf die wenigen Blätter. Die Straße lag stellenweise sehr tief, so daß die Pferde vorsichtig durch flaches Wasser waten mußten. Endlich verließen sie den Schatten der Bäume, und die verhüllte Sonne zeigte ihnen eine weite Fläche, auf der die Straße den höchsten Punkt und das einzige Merkmal bildete. Vom Regen gepeitschte Pfützen und ungesund wirkende Grasflächen erstreckten sich links und rechts. Stellenweise überflutete das Wasser die Straße, übelriechende, stillstehende, grün bekeimte Flächen, wo totes Gebüsch die säubernde Strömung abgewehrt hatte.
»Jhirun«, sagte Morgaine aus einem langen Schweigen heraus. »Wie heißt dieses Land?«
»Hiuaj«, antwortete das Mädchen. »Der ganze Süden ist Hiuaj.«
»Können die Menschen hier noch leben?«
»Einige tun es.«
»Warum sehen wir sie nicht?«
Es gab eine lange Pause. »Ich weiß es nicht«, sagte Jhirun mit gedämpfter Stimme. »Vielleicht haben sie Angst. Außerdem ist der Hnoth nahe, da ziehen sie auf höheres Gebiet.«
»Hnoth.«
»Er überflutet hier alles«, sagte Jhirun kaum hörbar. Vanye konnte ihr Gesicht nicht sehen. Er spürte ihre Finger am hinteren Rand des Sattels, das unruhige Hin und Her ihrer Hände, und ersah daraus, wie wenig ihr Morgaines Fragen gefielen.
»Shiuan«, sagte Vanye. »Was ist damit?«
»Ein weites Land. Dort wächst Getreide, und es gibt große Siedlungen.«
»Die gut bewehrt sein müssen.«
»Die Lords dort sind mächtig — und reich.«
»Dann ist es gut«, meinte Morgaine, »daß wir dich bei uns haben, nicht wahr, Jhirun Elas-Tochter? Du kennst dieses Land also doch.«
»Nein!« widersprach Jhirun sofort. »Nein, Lady. Ich kann dir nur die Dinge wiedergeben, die ich selbst gehört habe.«
»Wie weit reicht dieser Sumpf?«
Jhiruns Finger berührten Vanyes Rücken, als suche sie Hilfe.
»Er wächst«, antwortete sie. »Das Land schrumpft. Ich weiß noch, wie die Shiua nach Hiuaj kamen. Ich glaube, die Durchquerung dauert Tage.«
»Die Shiua kommen nicht mehr?«
»Ich weiß nicht einmal genau, ob die Straße überhaupt noch offen ist«, sagte Jhirun. »Die Shiua kommen nicht mehr. Aber die Sumpfbewohner treiben Tauschhandel mit ihnen.«
Morgaine dachte darüber nach, und ihre grauen Augen wirkten abwesend und nicht nur erfreut. Und auf dem ganzen langen Ritt richtete sie das Wort nur an Jhirun.
Zur Mittagsstunde hatten sie einen Ort erreicht, an dem ein Stück von der Straße entfernt grüne Bäume wuchsen. Das Unwetter hatte sich verausgabt, ohne mehr als nur einen Sprühregen zu schicken, und tobte nun wohl anderswo. Man legte eine kurze Pause ein, wo die Strömung am Rand der Dammstraße eine Art Uferhang hatte entstehen lassen und wo das Gras tiefgrün gedieh, ein ungewöhnlich schöner Anblick in der feuchten Ode ringsum. Die wäßrige Sonne bemühte sich vergeblich, den Dunst zu durchdringen, und ein kleiner Mond stand beinahe unsichtbar am Himmel.
Sie ließen die Pferde ruhig grasen, und Morgaine teilte die Reste der Nahrung aus, wobei sie Jhirun ein volles Drittel zubilligte. Jhirun nahm, was ihr gereicht wurde, und setzte sich so weit von den beiden entfernt nieder, wie es der schmale Grasstreifen zuließ; dort aß sie und starrte auf den Sumpf hinaus. Ihr war dieser abstoßende Anblick offenbar lieber, ebenso das Alleinsein.
Und noch immer hatte Morgaine kein Wort zu ihm gesagt. Vanye saß im Schneidersitz auf der
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