Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
Er berührte sie, stellte fest, daß sie zitterte, und drückte sie an sich, während sein Herz noch heftig schlug.
Er nahm an, daß sie geträumt hatte; das Mädchen hatte auf dieser Reise genug gesehen, das Stoff für Alpträume hergab. »Leg dich wieder hin«, drängte er und hielt sie, wie er ein verängstigtes Kind geschützt hätte. Er legte sich wieder hin, die Arme fest um sie geschlungen, bedrückt von einer ganz eigenen Angst, von der Befürchtung, daß er Morgaine nicht finden werde. Sie war nicht gekommen; sie hatte sie nicht überholt; er begann mit dem Gedanken zu spielen, einen Tag an dieser Stelle zu verweilen und ihr die Zeit zu geben, aufzuholen.
Ein solches Verweilen konnte aber ihn und Jhirun das Leben kosten, hier auf diesem flachen Straßenabschnitt, unmittelbar vor einem Sturm, der das Wasser hochtreiben würde. Um Jhiruns willen mußte er weitergehen, bis sie ein sicheres Versteck fanden, wenn es so etwas wie Sicherheit in diesem Land überhaupt gab.
Ohne Jhirun konnte er sich dann richtig auf das Warten einrichten und die Straße beobachten und hoffen.
Morgaine war nicht unsterblich; wie Roh konnte sie ertrinken. Und wenn es sie nicht mehr gab — der Gedanke begann sich bei ihm festzusetzen —, hatte sein Überleben überhaupt keinen Sinn mehr; sollte er wieder werden, was er gewesen war, ehe sie seine Dienste in Anspruch nahm?
Und vielleicht wurde er bereits wieder von anderen Myya verfolgt — wegen Jhirun.
Morgaine hatte einen Wald wachsen sehen; an seiner Flanke atmete etwas, das ihm genauso schrecklich vorkam.
Jhirun weinte noch immer, ihr Körper wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt; was immer sie erschreckt hatte, beschäftigte sie noch immer. Er versuchte zur Ruhe zu kommen und sie durch sein Beispiel zu beruhigen, doch sie entspannte sich nicht. Ihr ganzer Körper war verkrampft.
Der Schlaf drängte ihn wieder in die Dunkelheit, das Unbehagen riß ihn zurück ins Wachen, wobei er zuerst wahrnahm, daß das Land im hellen Mondlicht lag, und dann, daß Jhirun noch immer wach war, den Blick starr auf den Sumpf gerichtet. Er wandte den Kopf und sah die gigantische Scheibe Lis, die inzwischen aufgegangen war, ein mächtiges, pockennarbiges Gesicht, dessen Anblick ihm nicht gefiel.
Die Erscheinung beleuchtete das Land so hell, daß die Bäume Schatten warfen.
»Kannst du nicht schlafen?« fragte er Jhirun.
»Nein«, antwortete sie, ohne ihn anzublicken. Ihr Körper war noch immer starr, nach so langer Zeit. Er spürte die Angst in ihr.
»Nutzen wir das Licht aus«, sagte er. »Gehen wir weiter.« Sie erhob keine Einwände.
Gegen Mittag rollten die ersten Wolkenstreifen herbei; sie verdunkelten sich, wuchsen weiter an, breiteten sich über den Himmel aus. Am Nachmittag reichte die Bewölkung von Horizont zu Horizont, und die Spitzen der wenigen Bäume neigten sich in einem Wind, der Sturm verhieß.
Rastpausen gab es nun nicht mehr, sie hielten nicht mehr an. Jhirun zog die Füße nach und mußte sich keuchend anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten. Vanye half ihr, so gut er konnte, in dem Bewußtsein, daß er sie nicht würde tragen können, wenn sie nicht mehr weiterkonnte — nicht auf einer Straße, die sich endlos vor ihnen erstreckte.
Seine Gedanken beschäftigten sich ausschließlich mit Morgaine; und als die Wolken immer dunkler wurden, verließen ihn die letzten Hoffnungen. Hastig atmend begann Jhirun ein nervöses Gespräch mit ihm, plapperte heiser von ihren Hoffnungen, von den geschützten Siedlungen, zu denen andere Bewohner ihres Landes geflohen waren, einzelne, die sich auf die Straße gewagt hatten. Hier gab es Reichtum, beharrte sie, hier gab es Wohlstand und ausreichende und gesicherte Nahrung. Sie sprach, als müsse sie sich selbst Mut machen, doch ihre Stimme lenkte ihn auch ab, sie half ihm, nicht immer an seine Verzweiflung zu denken. Mit einemmal strauchelte sie und schwieg und zerrte an seinem Arm. Er blieb stehen, schaute sie an, um sich zu überzeugen, was sie so erschreckt hatte, und sah sie mit vagem und erschrockenem Blick ins Leere schauen.
Ein Geräusch wogte plötzlich durch die Erde. Er spürte es, griff nach Jhirun und riß sie mit sich zu Boden, waren sie doch inmitten solcher Gewalten ohne Bedeutung. Er zerrte sie an den Armen vom Rand des Wassers zurück, und schon war es vorbei und alles war wieder ruhig. Sie lagen einander gegenüber; Jhiruns Gesicht war bleich und verzerrt vor Entsetzen. Ihre Fingernägel hatten sich in seine
Weitere Kostenlose Bücher