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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Versprechungen. Und man wird sagen: Diese weit entfernte Frau hat nirgendwo einen Schatten. Meine Ahnen bewohnten die Wüsten und die Sandhügel, sie kamen und gingen mit dem Sand und dem Wind, sie jagten Gazellen, die den Frauen ähnelten, und an ihren Haustüren warteten sie auf den Jüngsten Tag.« Es heißt, sie habe später in Damaskus einen italienischen Konsul geheiratet und den Rest ihrer Tage zwischen Rom und Venedig verbracht.
    Kâmleh entspannte sich ein wenig, gegen ihren Willen schlossen sich ihre Augen.
    Ihre Mutter nahm Muntaha ein wenig zur Seite, fort von den Nachbarn, die gekommen waren.
    Sie wiederholte ihre Bitte:
    – Geh zu Fuâd und Butros al-Râmi …
    – Heute?
    – In einer Stunde, wenn es dunkel wird. Geh jetzt erst einmal nach Hause, ruh dich ein wenig aus, zieh dich um, und dann komm zurück! Los, geh!
    Dann setzte die Mutter noch hinzu: »Sie haben mir eine Nachricht zukommen lassen.«
    Aber sie sagte nicht, über wen und wie.
    Sie wollten kommen, um Kâmleh ihr Beileid auszusprechen. Yûssef al-Kfûri war wie ein Bruder für sie gewesen; sie wollten es nicht versäumen, sogleich ihre Pflicht gegenüber seiner Ehefrau zu erfüllen.
    Muntaha ging nach Hause. Sie war nicht gerade begeistert von dem Vorhaben und hoffte, Kâmlehs Mutter würde es wegen der Sorge um ihre Tochter wieder vergessen.
    An der Haustür leistete Muntahas Mutter wie gewöhnlich ihrem stummen Verwandten Gesellschaft. Sie sprachen miteinander. Er malte mit den Händen eilig Zeichen in die Luft, und sie bewegte ihre Hände so langsam, als suchte sie nach etwas, was sie sagen sollte. Wie jemand, der in einer Sprache redete, die nicht die seine war und bei der Wahl der richtigen Worte zögerte. Sie ermüdeten rasch, ein oder zwei Sätze, dann mussten sie ausruhen. Ihre Mutter hatte gemeinsam mit den anderen Nachbarn geweint, ihre Augen waren gerötet. Der Stumme weinte um niemanden. Wahrscheinlich trauerte er im Herzen, doch er weinte nicht. An diesem Tag war er nicht auf Aalfang gegangen, trotzdem verströmte er den Geruch des Flusses. Wie üblich war er barfuß. Im Angesicht von Katastrophen war der Stumme der Stärkste unter uns.
    Muntaha fragte ihre Mutter nach Haifa Abu Draa. Während Muntaha Kâmleh unterstützt hatte, war ihre Mutter zum Haus von Haifa gegangen.
    – Ich habe dort jedenfalls niemanden gesehen, der für jemanden gestorben wäre.
    Sie meinte aus Trauer über jemanden.
    Ihre Mutter war hart.
    – Am meisten muss man den bedauern, der geht, setzte sie hinzu.
    Das hieß, dass in jedem Fall der Tote selbst der Verlierer war.
    Der Stumme nickte. Er hörte zwar nicht, was die Frau sagte, und sie hatte auch nicht gestikuliert, als sie gesprochen hatte, aber vielleicht stimmte er zu, weil er ahnte, was seine Verwandte in so einer Situation sagen würde. Es war nicht leicht, sich vorzustellen, wie solche alten Weisheiten in der Stummensprache aussehen könnten und besonders in der Sprache des stummen Aalfischers. Die geeigneten Gesten zu finden, wäre zweifellos mühevoll.
    Der Stumme lächelte, während er beipflichtend mit dem Kopf nickte. Das war der Beweis dafür, dass er verstanden hatte.
    Doch Muntaha hatte nicht zugehört, während ihre Mutter sprach, waren es doch ihre ewig gleichen Antworten, wenn sie von einer Beerdigung kam.
    Der Tod ist für die Frauen ein Zeitvertreib.
    Das hatte sie einmal von ihrem Vater gehört.
    Muntaha warf sich erschöpft auf die Bank. Ihr war bewusst, dass der Tag noch nicht zu Ende war. Sie hatte sich noch immer nicht umgezogen, obwohl Kâmlehs Mutter sie gebeten hatte, ein neues Kleid anzulegen.
    In solch einem aufwühlenden Moment verlangte sie von ihr, ein neues Kleid anzuziehen!
    Später erzählte Muntaha, sie habe in den wenigen Minuten, in denen sie den Kopf auf die Lehne der Holzbank gelegt und die Augen geschlossen hatte, einen Traum gehabt. Sie wäre damals sogar in der Lage gewesen, im Stehen zu schlafen.
    Soldaten,
    sie sah Soldaten,
    eine ganze Division,
    eine lange Reihe Soldaten, blutrot gekleidet,
    sie gingen durch einen Wald mit hohen Pappeln, wie jene, die beidseits des Wegs am Fluss standen und deren Kronen gegen den Himmel stießen,
    die Erde war vom Regen der vergangenen Nacht durchnässt, und die gelben Pappelblätter bedeckten den Boden,
    am Hals eines jeden Soldaten hing ein Stoffbeutel. Proviantbeutel nannten sie ihn,
    darin war Brot,
    alle waren sie Soldaten, kein Offizier war unter ihnen und kein Feldwebel.
    Es waren die Getöteten.
    Diejenigen,

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