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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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stand auf und bat, nach Hause gehen zu dürfen, weil ihre Mutter sich sicher Sorgen mache. Kâmleh lachte, dann versuchte sie zu weinen, doch es gelang ihr nicht.
    Muntaha hatte ganz plötzlich gespürt, dass sie hier fehl am Platz war. Niemand beachtete sie.
    – Warte noch ein bisschen, Muntaha, bring deinen Gefallen zum Ende.
    Kâmlehs Mutter wollte, dass sie die Brüder zurückbrachte.
    Dass sie zumindest in ihrer Begleitung das Untere Viertel durchquerten. Dass sie sie bis in die Nähe der Schule brächte und dann zurückkehrte.
    Die Stille war vollkommen.
    Nur die Geräusche der Nacht waren zu hören. Schakale, die von Zeit zu Zeit in der Ferne heulten. Ein Schuss in einem nahe gelegenen Dorf. Das Zirpen der Abendgrillen in den Weinstöcken.
    Plötzlich begann Kâmleh zu zittern. Ohne Unterlass zu zittern. Ihre Zähne klapperten.
    – Sie hat sich erkältet!, sagte ihre Mutter entschieden. Wir müssen sie hineinbringen.
    Aber Kâmleh wollte nicht hinein. Sie schüttelte den Kopf und stöhnte auf.
    Dann setzte wieder Stille ein, wieder wurden Blicke getauscht. Nur das Nötigste wurde gesprochen. Kâmleh zitterte, und die kühle Nachtluft stieg vom Fluss herauf.
    Die Feuchtigkeit konnte einem das Sitzen auf dem Balkon selbst in den Augustnächten verleiden.
    – Bring sie hinein, sagte Butros al-Râmi.
    Wieder protestierte Kâmleh, und plötzlich wurde es dunkel. Das Licht auf dem Balkon und alle Lichter im Ort erloschen.
    – Das hat uns gerade noch gefehlt, dass der Strom ausfällt …, sagte ihre Mutter in der Dunkelheit.
    Stille, Nacht, Feuchtigkeit.
    Von neuem versuchte die Mutter, Kâmleh zu überreden, flüsterte ihr eindringlich ins Ohr.
    Endlich war Kâmleh bereit, ins Haus zu gehen. Vielleicht hatte sie das Argument überzeugt, dass sie in der Dunkelheit im Schlafzimmer sowieso nichts würde erkennen können.
    Muntaha blieb allein, am Ende ihrer Kräfte.
    Kurz darauf kehrte Butros al-Râmi auf den Balkon zurück. Er stand da und starrte in die Finsternis. Einige Minuten später trat auch Kâmlehs Mutter heraus. Alle drei standen sie da und blickten in die Dunkelheit. Kleine vereinzelte Lichter blinkten auf der gegenüberliegenden Seite, wo der Strom allem Anschein nach nicht ausgefallen war. In diesen sich an den Hang des Berges schmiegenden Dörfern wurden andere Leben gelebt.
    Mehr als eine Stunde verbrachte Kâmleh mit Fuâd al-Râmi.
    Kâmlehs Mutter würde niemandem von diesem Besuch erzählen.
    Auch Butros und Fuâd al-Râmi würden keinem etwas davon sagen.
    Muntaha würde es schwerfallen, das Geheimnis für sich zu behalten, aber sie würde ihr Bestes tun.
    Butros, Muntaha und Kâmlehs Mutter warteten in der Dunkelheit des Balkons. Plötzlich funktionierte der Strom wieder, und Fuâd al-Râmi trat heraus.
    Es war zwischen zehn und elf Uhr nachts, am Montag, dem 18. Juni 1957.
    Muntaha begleitete die Brüder zurück. Sie ging vor ihnen her. Den ganzen Weg über hielten sie ihre Pistolen gezückt. Erst als sie bei der Schule angekommen waren, steckten sie sie ein und forderten Muntaha auf, wieder nach Hause zu gehen.
    – Viele Menschen werden sterben, Muntaha, sagte Fuâd al-Râmi.
    – Jûssef al-Kfûri stand uns näher als ein Bruder, ergänzte Butros.
    Dann setzten sie ihren Weg durch die Dunkelheit fort, sich immer wieder wachsam umblickend.

XXI
    Wir standen in einer langen Schlange vor der Militärkaserne in Kubbat al-Nasr.
    Ein zweistöckiges französisches Gebäude aus Sandstein, auf dem Dach ein Blitzableiter, an dessen Ende eine libanesische Fahne flatterte. Drei Soldaten mit undurchdringlichen Mienen – zwei mit gezwirbelten Schnurrbärten und einer mit einer schmalen Brille – hinderten uns daran, uns vorzudrängeln.
    Wir konnten sehen, wie diejenigen, die am Kopf der Schlange standen, einer nach dem anderen durch die Tür eines der kleinen Gebäude traten, die dem Haupthaus der Kaserne gegenüberlagen. Davor stand ein Wächter in Habtachtstellung, völlig regungslos, wie aus Stein gehauen.
    Diejenigen, die eingetreten waren, sahen wir nach der Prozedur, wegen der sie hier waren, nicht zurückkommen. Es war, als würde dieser kleine Bau, der aus höchstens zwei Räumen bestand, das lange Band der Menschen aus Barka nach und nach verschlucken. Vermutlich verließen sie das Haus durch eine Tür auf der Rückseite, die ich von dort, wo ich quälend langsam vorwärtsrückte, nicht sehen konnte.
    Hinter mir stand ein Mann aus unserer Familie, dessen Bruder bei dem Vorfall von Burdsch

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