Morgen des Zorns
auch sie an zu weinen, dann begann der Säugling zu kreischen.
Abbûd glich einem Kind, das nur schwer dazu zu überreden ist, abzugeben, was es in den Händen hält. Aus einem mir unverständlichen Grund griff Hesneh sich plötzlich ihr Kopftuch, band sich damit das Haar zusammen und betrat den Ladenraum. Sie hatte beschlossen, allein zu gehen. Wir folgten ihr, fassungslos, dass sie jetzt einfach so fortgehen würde.
Salîmas Söhne warteten neben einem Taxi auf sie, einem Mercedes. Sie öffnete die Tür, um einzusteigen. Dann drehte sie sich noch einmal zu uns um und befahl ihrer Tochter:
– Nimm die Linsen und die Bohnen vom Feuer, die sind schon fast angebrannt. Und schäl die Radieschen für deinen Vater, er liebt Radieschen zu Linsen und Bohnen. Die Kichererbsenbällchen stehen fertig im Speiseschrank. Wechsel deinem Brüderchen die Windeln, der hat schon angefangen zu stinken. Und vergiss nicht, Baschîr etwas zu essen zu geben, und lass ihn nicht nach Hause gehen. Auf dem Weg könnte ihm etwas zustoßen. Seine Mutter hat ihn mir anvertraut …
Baschîr, das war ich.
Aber sie hatten immer noch nicht genug.
Und Hâschim, Salîmas Sohn, begnügte sich auch nicht damit, mit seinem Maschinengewehr zu feuern. Er hatte es sich mit Gewalt angeeignet, und die Salven, die er losschickte, liefen ins Leere. Er feuerte ohne Anlass, nur um seine Existenz unter Beweis zu stellen, wie er manchmal behauptete. Außer bei den Kindern, die sich in seiner Nähe herumdrückten, um die leeren und noch heißen Patronenhülsen aufzusammeln, stieß er auf keinerlei Zustimmung.
Doch er begnügte sich nicht damit. Er erfand eine neue Wurfmaschine, um noch größeren Schaden anzurichten.
Zuerst machte er sich gemeinsam mit seinem Bruder Francis auf die Suche nach alten Gummireifen. Autoreifen, die unbrauchbar waren. Sie nahmen den Schlauch aus dem Inneren, schnitten ihn in lange Streifen, banden diese sorgfältig an eine Konstruktion aus hartem Holz, befestigten das Ganze auf einem der Dächer und forderten alle auf zu verschwinden. Vergeblich versuchte man sie zurückzuhalten.
Hâschim schoss so eine Handgranate ab, die in der Luft, auf ihrem Weg ins Untere Viertel, explodierte, auf der gegenüberliegenden Seite jedoch nur großen Tumult auslöste und zahlreiche Gerüchte zur Folge hatte.
Als sie den Granatwerfer bekamen und mit diesem auch der Offizier eintraf, von dem es hieß, er sei ein Fremder, der sie an der Waffe trainieren solle, war Hâschim der erste Freiwillige gewesen. Er lernte rasch. Am Tag, als sie zur Tat schreiten wollten, schlug Hâschim vor, auf den Moment zu warten, wenn die Menschen am Sonntag um halb elf nach der Messe die Kirche verließen. Die Messe, an der immer große Menschenmengen teilnahmen. Als die Leute die Kirche verließen, begannen sie zu schießen. Hâschim stand hinter der Kanone, doch das Geschoss fiel weit entfernt am Flussufer nieder, wo es trockenes Schilf entzündete und einen Fischer am Bein verletzte.
Auch Hâschim wusste nicht mehr ein noch aus, und da begann er, aufs Geratewohl Granaten abzuschießen, zu jeder Zeit, nachts und am Tag. Er tötete Frauen und Kinder, so zumindest hieß es in den Nachrichten, die aus dem Unteren Viertel zu uns drangen.
Aber auch damit begnügten sie sich nicht!
Salîmas Söhne führten zwei nächtliche Angriffe durch. Sie sammelten ihre Männer und schlichen unter dem Hagel von Leuchtgeschossen und explodierenden Kugeln auf die gegenüberliegenden Barrikaden zu. Sie versuchten ihre Gegner aus der Reserve zu locken, aber ohne Erfolg. Sie wollten die feindlichen Stellungen besetzen und die Gegner vertreiben und verteilten bereits im Vorhinein die Beute, aber sie scheiterten wieder. Beide Male kehrten sie mit einem Getöteten und mehreren Verwundeten in den eigenen Reihen zurück. Sie würden den Krieg nicht gewinnen und nicht verlieren, deshalb packte sie der Wahnsinn. Mit Dynamit sprengten sie die Häuser der Gegner, die in ihrem Viertel wohnten, aber weil sie keine Erfahrung im Umgang mit Sprengstoff hatten, wurden durch die herumfliegenden Splitter und Trümmer auch Menschen aus den eigenen Reihen verletzt. Dann machte sich einer von ihnen daran, Häuser zu plündern – im Dunkel der Nacht, damit niemand Zeuge seiner Verworfenheit wurde. Es handelte sich um Häuser ihrer Gegner, die unter ihnen gewohnt und in der Hoffnung, einige Tage später, nach der unmittelbaren Gefahr, zurückkommen zu können, das Viertel verlassen hatten. Sie verleugneten
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