Morgen des Zorns
deiner Mutter aus, dass Umm Dschamîl sie grüßen lässt, sagte er.
Als ich später zu Hause meiner Mutter die Grüße ausrichtete, stieß sie einen Seufzer aus.
Der Stutzer kannte sie alle und fuhr fort:
– Und dieser junge Mann dahinten …, den hat mein Bruder Nâsîf …
Kein Wort über sich selbst, sein Held war sein Bruder Nâsîf.
Ich hielt mir die Ohren zu.
Die Frau meines Bruders erbte die eine Hälfte, wir die andere. Hätte er Kinder von ihr gehabt, hätten wir gar nichts bekommen. Er war in einen Hinterhalt geraten, der nicht ihm gegolten hatte. Er war mit dem Auto unterwegs gewesen, hatte ganz in seiner Nähe Schüsse gehört, es mit der Angst zu tun bekommen und war so unsicher geworden, dass er von der Straße abkam und ganz tief ins Wadi stürzte. Der Wagen war zwar vollkommen zerstört, doch mein Onkel nur verletzt, man erzählte sich, er sei sogar noch aus dem kaputten Auto gekrochen und zu Fuß weitergelaufen. Am Auto hatte man keine Einschussspuren gefunden. Diejenigen, die diese »Straßenfalle« errichtet hatten, waren jedenfalls unsere eigenen Leute gewesen. Sie waren, nachdem sie ihren Fehler bemerkt hatten, losgestürzt, um meinen Onkel aus dem Auto zu ziehen. Von dem Tag an verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand meines Onkels, und sechs Monate später war er tot. Wir nahmen an der Totenfeier in der Kirche teil, aber wir gingen nicht zu ihm nach Hause, weil seine Frau uns hatte ausrichten lassen, sie werde einen Skandal machen, wenn wir es wagten, ihr Haus zu betreten. Sie verbreitete alle möglichen Gemeinheiten über uns. Überall erzählte sie herum, wir hätten alles dafür getan, dass er nicht auf die Liste der Opfer gesetzt werde. Und wir seien zum Militärbefehlshaber der Region gegangen, um ihm mitzuteilen, dass mein Onkel bei einem Autounfall gestorben und seine Frau nicht berechtigt sei, eine Entschädigung zu bekommen.
Ich war gerade auf der Suche nach etwas, was mich vor der mein Hirn zermarternden Sonne schützen könnte, da wurde im hinteren Teil der Schlange ein anschwellendes Geschrei laut.
– Die Kommission, die Kommission!, riefen die Leute.
Wir waren froh, dass die Kommission endlich eintraf, dass irgendetwas geschah, was die Langeweile der scheinbar endlosen Warterei durchbrach. Ein kleiner, aus drei Autos bestehender Konvoi, der von einem Motorrad der Sicherheitskräfte angeführt wurde, kam zum Stehen. Als erster stieg ein kleingewachsener Mann mit einer riesigen schwarzen Brille aus. Wie ein schwarzer Fleck prangte sie in seinem Gesicht. Sogleich wurde er von zwei Begleitern umringt. Ein Offizier, der ihn Henry Bek nannte, eilte herbei, ihn zu empfangen. Wir kannten ihn, beziehungsweise der Stutzer kannte ihn. Offenbar war er es gewesen, der das Geld für die Entschädigung bei seinen wohlhabenden Freunden in Beirut gesammelt hatte. Wir wussten auch, dass die USA dem Libanon Hilfsgüter in Form von überschüssigem Weizen zuteil werden ließen. Ein libanesischer Geschäftsmann hatte der Regierung in Beirut vorgeschlagen, ihm diesen amerikanischen Weizen zu verkaufen – zu einem geminderten Preis selbstverständlich –, so dass der Staat dann von diesem Geld die Entschädigungen für die Familien unserer Toten zahlen könne, um damit eine Aussöhnung zwischen uns zu erreichen. Der Geschäftsmann hatte sich jedoch mit der Bezahlung verspätet, und deshalb hatte sich auch die Aussöhnung bis zum heutigen Tag verzögert, an dem wir vor der Hlâjel-Kaserne in Kubbat al-Nasr in der Schlange standen.
Als Henry Bek im Gehen stolperte und beinahe gestürzt wäre, ließ die dicke Frau, die vor mir stand, ein »Hoppla« hören.
Einer seiner Begleiter eilte herbei, um ihn zu stützen, und Henry Bek blickte lächelnd in unsere Richtung, als wolle er der Frau für ihre Anteilnahme danken. Eine affektierte Anteilnahme, so affektiert wie sie selbst. Manche um uns herum sagten, er sei der Besitzer des Hippodroms in Beirut, und ein Mann, der vor der Dicken stand, meinte, er sei zur Zeit der Unabhängigkeit Außenminister gewesen. Henry Bek blieb stehen, um auf die anderen zu warten, die mit ihm aus Beirut gekommen waren.
Ein Offizier in Paradeuniform stieg aus dem zweiten Auto. Die drei Soldaten, deren Aufgabe es war, jegliches Drängeln in der Schlange zu verhindern, erboten ihm den militärischen Gruß. Soldaten grüßen Offiziere, ohne sie zu kennen, einfach nur, weil sie deren Sterne auf den Epauletten sehen. Er wirkte streng, in seinem Blick lag
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