Morgen früh, wenn Gott will
Kaffee?«
Robbies Erleichterung war deutlich spürbar, als er mich durch die Menschenmenge aus dem Café lotste. Während wir durch die Straßen gingen, blickte er immer wieder zurück. Während er unter einer Straßenlaterne stand, erhaschte ich einen Blick auf sein Gesicht. Er sah verängstigt aus. Mehr als verängstigt. Er sah aus, als habe er einen Toten gesehen.
Der Laden, der schon geschlossen hatte, lag an der Berwick Street, an der Ecke zu einer kleinen Straße, in die Männer zum Pissen gehen, wenn sie einen zu viel getrunken haben oder einfach dieser Typ Mann sind. Der Geruch nach verfaultem Obst und Fisch lag in der Luft, als ich hinter Robbie meinen Weg durch überreife Erdbeeren und verrottende Kohlblätter suchte, die ich unter meinen in Flip-Flops steckenden Zehen zermatschte. Jemand hatte ein Tablett mit schwarz gewordenen Avocados auf die Vordertreppe des Ladens gestellt, um das sich nun in der warmen Sommerluft zahlreiche Fruchtfliegen sammelten.
Der Typ, der uns hineinließ, sah so aus, als wäre ihm völlig egal, wohin er pisste. Ein hochmütiges Lächeln umspielte seinen blutlosen Mund, als er meinen Bruder sah. Dann strich er mit einer schnellen Bewegung seines knochigen Handgelenks seine dünnen Haarsträhnen nach hinten. Sein Blick fiel auf die verfaulenden Avocados, und er trat mit dem Fuß nach ihnen, sodass sie auf die Straße rollten. Das froschgrüne Fleisch spritzte über die Fahrbahn und auf seine schweren Stiefel.
Robbie verhielt sich dem Kerl gegenüber unsäglich still, in gewisser Weise sogar ehrerbietig. Der Mann ging uns durch Ständer voller Herrenkleidung voraus, die schon von weitem nach Billigmarkt aussah. Durch die Decke erklang die dröhnende Bassline einer Dub-Nummer. Auf der Treppe lief mir ein Schauer über den Rücken. Überall wäre ich jetzt lieber gewesen als hier.
Der Raum, in den wir eintraten, war absolut dunkel, wenn man vom schwachen Schein der Striplokal-Reklamen gegenüber absah, die düster durch die Jalousien flackerten. Wie himmlische Ampeln erleuchteten sie den Bodensatz der Ausschweifung, der sich hier abgelagert hatte. Es roch schmutzig, dekadent. Und es sah aus wie einer dieser Orte, an dem die Wände Augen haben. Mein Blick war noch nicht vollständig ans Dunkel gewöhnt. Ein Schatten rekelte sich auf dem langen Ledersofa. Plötzlich ergoss sich gleißendes Licht über unsere Gesichter. Mein Bruder umfasste meine Hand mit seinen schweißigen Handflächen. »Alles okay, General?«, keuchte er nervös. Der Mann mit den Haarsträhnen hatte sich verflüchtigt.
Der auf dem Sofa senkte ganz langsam die Lampe. Sein Blick ruhte unverwandt auf mir. Sein dickes braunes Haar war leicht gewellt wie Triconova-Stoffe. Das Licht hinter seinem Kopf zeichnete einen merkwürdigen Heiligenschein um sein Haupt. Er hatte das höhnische Gesicht eines gefallenen Engels. Beinahe sah es aus, als wäre es geschnitzt, so klar gezeichnet war der Schwung der Oberlippe. Seine Füße lagen auf einem Tisch voll überquellender Aschenbecher und leerer Flaschen. Ein dahindämmerndes Mädchen mit Haaren wie einer der Drei Engel für Charlie und einem Körper wie die Sünde kuschelte in seinem Arm. Sie rauchte Gras. Ihr Aschenbecher stand auf einem Stapel Hochglanzpornomagazine. Gelangweilt sah sie zu mir herüber, dann glitt ihr Blick wieder ins Dämmern zurück. Erwartungsvoll sah ich Robbie an, doch der hing nur im Türrahmen. Die Art, wie er sich verhielt, ließ mich innerlich zusammenzucken.
»Hol unseren Gästen doch bitte etwas zu trinken, Tan«, bat der Mann, den sie »General« nannten. Dabei verzog er das Gesicht zu einer Grimasse, die er vermutlich für wohlwollend hielt. Tan versuchte, ihm zu widersprechen, da ließ er seine Hand unter ihr knapp sitzendes Top gleiten und quetschte ihre Brustwarze zusammen. Verlegen sah ich weg, doch sie schien das gar nicht zu stören. Sie nahm einen langen Zug aus ihrer Tüte und stolperte zur Tür, wobei ihr die winzigen Shorts ständig über die schwellenden Hinterbacken rutschten.
Robbie schwirrte immer noch herum wie eine Fliege, die nicht weiß, auf welchem Misthaufen sie sich niederlassen soll. Plötzlich schob er mich vorwärts. Ich, die ich darauf nicht vorbereitet war, blieb mit den Flip-Flops an einem aufgestellten Dielenbrett hängen und landete fast auf dem Schoß des Generals. Ein echtes Gottesgeschenk, schoss es mir lächerlicherweise durch den Kopf.
»Du bist ja ziemlich flott, meine Liebe.« Seine Stimme war für
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