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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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weit das Fenster, sodass ich fror in meinem dünnen Sommerkleid. Ich musste das flatternde Haar mit den Händen zurückhalten. Ich wollte nicht zeigen, wie viel Freude mir sein Geständnis gemacht hatte.
    Die Sonne ging über dem Meer auf. Eine kleine weiße Yacht glitt am Horizont entlang. »Vielleicht ist da ja … vielleicht sehe ich heute ja Louis wieder! O bitte, lieber Gott!« Nun spürte ich eine ganz andere Art von Sehnsucht in mir.
    Der rot-weiße Leuchtturm lag auf einem Felsvorsprung, der Tag für Tag von der Flut isoliert wurde. Idyllisch wie die Illustration in einem Kinderbuch schimmerte er verlockend über dem Wasser, als wir gegenüber eine steinige Böschung hinabstiegen. Die Sonne stand noch niedrig, Wolken trieben sanft über den Horizont. Abgesehen von einem Spaziergänger mit Hund war noch niemand unterwegs.
    Wen wir dort unten treffen würden, war mehr oder weniger klar. Das kleine Häuflein Männer, das sich in unbequemen Anzügen und festem Schuhwerk am Wasser versammelt hatte, war so unauffällig wie ein roter Schlips. Der Älteste löste sich aus dem Trupp und kam mit grimmiger Miene auf uns zu. Der Kalkstaub des Kieses hatte den Glanz seiner Arbeitsstiefel schon schwer in Mitleidenschaft gezogen. Trotz meines hoffnungsvollen Lächelns sah er mich nur desinteressiert durch seine Brillengläser an. Dann wandte er sich über meinen Kopf hinweg direkt an Silver.
    »Das Boot muss jede Sekunde hier sein, Joe.« Wie aufs Stichwort tuckerte nun ein kleines Polizeiboot um die Landzunge herum auf uns zu. »Bleibt die Lady hier? Ich lasse Williams bei ihr.«
    »Aber ich will auch mit, bitte«, sagte ich, so ruhig ich konnte. Der Bebrillte sah Silver mit hochgezogener Augenbraue an. »Weiber!«, war in seinem Blick zu lesen. »Aber das ist nicht üblich, Madam«, bekam ich dann zu hören.
    »Ehrlich gesagt ist mir das ziemlich egal. Ich muss meinen Sohn finden«, antwortete ich bedächtig. »Ich bin sicher, es ist genug Platz auf dem Boot, wenn wir ein bisschen zusammenrücken.« Ich wartete erst gar nicht ab, ob Silver den Blick zurückgab.
    Am Ende gingen wir zu Fuß, weil Ebbe herrschte. Das Wasser hatte sich weit genug zurückgezogen, sodass wir laufen konnten. Ich stolperte in meinen alten Sandalen über die algenbewachsenen Felsen, ungeduldig, weil die Wanderung so lange dauerte. Wenn mir jemand helfend seine Hand reichte, blickte ich stur zur Seite. Vor allem, wenn es sich um die sonnengebräunte von Silver handelte.
    »Mein Vater sagte immer, der Seetang sei das Haar der Meerjungfrauen«, sagte ich zu niemand Bestimmtem. Ich stellte mir meinen säbelbeinigen Vater vor, wie er hinter mir über den Strand marschierte mit seinem Krabbennetz in der Hand. Ob er mit seinem allgegenwärtigen Lächeln dieses Mal nach seinem Enkel Ausschau hielt, der irgendwo in der Nähe war?
    »Ihr Vater war wohl ein ziemlicher Träumer?« Zu guter Letzt hatte Silver also doch noch ein Lächeln für mich übrig.
    Ich gab es müde zurück, während ich noch an meinen Vater dachte. »Ja, das kann man wohl sagen.« Schweigend gingen wir den Rest des Weges und wurden schneller, als unser Ziel vor uns lag, mit dem jeder von uns ganz eigene Hoffnungen verband.
    Am Fuß des Leuchtturms stehend ließ ich meinen Blick Hunderte von Stufen hinaufwandern. Ich schob der aufkeimenden Verzagtheit einen Riegel vor, atmete tief ein und aus und stieg die Stufen so schnell empor, wie ich nur konnte. Ich hängte mich an Silvers Riesenschritte, getrieben von einem frenetischen Hämmern in der Brust. Schon meinte ich, ein Baby zu hören – woraufhin ich beinahe laut aufgeschrien hätte. Dann wurde mir klar, dass es nur der einsame Schrei einer Möwe gewesen war. Schmerzhaft biss ich mir auf die Zunge. Völlig grundlos hoffte ich, dass jetzt das Ende gekommen war. Ich sah meinen Sohn am Ende der Treppen, wie er gluckste, glücklich und unverletzt, und trieb mich weiter an. Als ich auf dem obersten Absatz angekommen war, konnte ich kaum noch atmen und musste meinen Inhalator hervorholen. Leider herrschte unmittelbar über mir eine wenig ermutigende Stille. Trotzdem flackerte in mir nochmals die Hoffnung auf, als ich den Raum am Ende der Treppen betrat.
    Es war nur allzu offensichtlich, dass niemand da war. Der Raum war leer. Ich war so durch und durch verzweifelt, dass ich fast mit Silver zu streiten angefangen hätte, weil er neue Hoffnungen in mir geweckt hatte, die wieder nicht erfüllt wurden, doch ich biss mir auf die Lippen und ließ

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