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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Gesicht nicht sehen konnte – doch sie hielt etwas im Arm, ganz vorsichtig, damit es ihr nicht entglitt. Mein Herz tat einen Sprung bis hinauf in den mürrisch grauen Himmel. Louis! Dann drehte sie sich ein wenig um, und ich sah, dass das kein Kind sein konnte. Nur eine schwere Tasche, die sie auf den Armen trug.
    Dann war Silver am Pier und rief sie an. Sie fuhr auf und ließ die Tasche fallen. Sie selbst stolperte, und als sie sich umwandte, glitt die Kapuze von ihrem Haar, und ich sah, dass es Maxine war. Unwillkürlich machte ich einen Schritt nach vorn, doch Deb war schneller und hielt mich zurück.
    »Maxine Dufrais, Sir«, murmelte sie ihrem Vorgesetzten erklärend zu. Dieser nickte kurz. Silver sprach mit ihr, wir aber vernahmen nur das lang gezogene Kreischen der Möwen und das Geräusch der stärker werdenden Brandung, die gegen die Kaimauer und die Boote schwappte. Wir sahen zu, wie Maxine sich verzweifelt umblickte und einen Ausweg suchte. Doch es gab keinen. Keine Möglichkeit wegzulaufen. Andererseits konnte Silver wohl auch nicht aufs Boot kommen, wenn sie ihm nicht half. Wir erkannten, dass er wohl versuchte, sie zur Vernunft zu bringen. Sie gestikulierten hin und her, dabei fiel ihr Blick immer wieder auf die schmale Gangway, die an Deck hochgezogen war.
    »Wo ist Louis? Hol einfach Louis dort raus, bitte, lieber Gott.« Offensichtlich war mein Murmeln lauter geworden, denn Deb nahm meine Hand und drückte sie. Und dann sahen wir, wie Maxine den Blick auf See hinaus richtete und auf die andere Seite des Bootes ging. Eine stämmige Gestalt winkte ihr zu, locker fast, wer immer der Mann auch sein mochte.
    Jetzt ging Silver weg. Dann drehte er um und ging noch einmal auf sie zu. Er sagte etwas, und sie weinte fast, flehte ihn offensichtlich an und bekam einen regelrecht hysterischen Blick, als sie sah, dass nichts zu machen war. Der Wind peitschte die Wellen immer höher, während sie auf dem winzigen Deck auf und ab lief. Das Boot machte einen Ruck, und sie stürzte.
    Nun begann auch der Mann auf dem Schnellboot, der von unserem Platz aus wirkte wie ein winziges Strichmännchen, wie wild herumzuwedeln.
    »Was treibt der Trottel denn?«, grunzte Malloy und richtete sein Fernglas auf ihn. »Er scheint keine Ahnung zu haben, dass er einen Riesenärger bekommt, falls das Baby bei der Blondine ist.«
    Und dann brach plötzlich die Hölle los. Maxine wandte sich von Silver ab und sprang vom Boot. Sie tauchte einfach im Meer unter, woraufhin jeder von uns unwillkürlich nach vorn stürzte. Fast zur selben Zeit rannte Silver los, riss eine schmuddlige Planke zwischen zwei Hummerfangkörben hervor und schob sie auf das Boot. Wie durch ein Wunder gelangte er über diesen wackligen Steg auf Deck. Maxine war nirgendwo zu erblicken. Sie war von der uns abgewandten Seite des Bootes gesprungen, sodass wir sie nicht sehen konnten. Ich dachte: »Ja, jetzt ist es so weit. Danke, lieber Gott. Endlich.« Dann fing ich an zu laufen, vorbei am klobigen Malloy, am eleganten Bebrillten, sogar Deb ließ ich hinter mir, wobei ich beinahe über meine eigenen Füße fiel. Auf dem Kies stürzte ich fast, rappelte mich aber wieder auf. Meine Hand blutete, aber das war mir egal, weil Louis hier irgendwo sein musste …
    Und dann sah ich Silver plötzlich rückwärts über das Deck laufen. Irgendetwas war da noch auf dem Boot. Jemand stand in der Kabine, ich konnte nicht sehen, wer es war. Silver hielt die Hände hoch, als wolle er den anderen beruhigen. Mir blieb fast das Herz stehen, als mir klar wurde, dass die Gestalt eine Waffe auf Silvers Brust gerichtet hatte.
    »Bleib, wo du bist, Jess«, rief er. Ich kam am Fuß der Planke zu stehen. Dann rief die Gestalt in Regenjacke und Kapuze laut lachend:
    »Nein, sagen Sie ihr ruhig, sie soll herkommen. Der Rest soll bleiben, wo er ist.« Ich merkte, wie hinter mir alles ruhig wurde. Irgendwie kam mir die Stimme bekannt vor. Und dann trat sie auf Deck, und ich merkte, mit wem ich es zu tun hatte. Meine Rivalin um Liebe und Glück. Natürlich: die unbezähmbare Agnes.
    »Ist Louis hier? Haben Sie meinen Sohn?«, schrie ich mit kippeliger Stimme.
    »Vielleicht«, sagte sie hohnlächelnd, ohne mich anzusehen. Ihr Blick war auf Silver gerichtet, seiner auf die Pistole. Dann kam plötzlich das Wasser an der Bootswand in Bewegung. Ich sah, wie Silver und Agnes hinunterblickten. Der Mann auf dem Schnellboot schien sich die Seele aus dem Leib zu brüllen, obwohl wir ihn nicht verstehen

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