Morgen früh, wenn Gott will
wollte aber nicht in ein Flugzeug steigen, war ich doch gerade wieder auf dem Erdboden angekommen, und so buchte Mickey für uns ein Cottage im Lake District. Aus mir unerfindlichen Gründen liebte ich den Norden des Landes, und zumindest dieses eine Mal war mein Ehemann bereit, mir meinen Willen zu lassen. Etwas in mir sehnte sich nach der ungebändigten Wildheit der Natur, der anonymen Schönheit von Orten, die ich noch nie gesehen hatte.
In der Woche, in der die Beerdigung stattfinden sollte, blieb Mickey zu Hause. Pauline und Freddie waren offensichtlich auseinandergegangen, und Pauline war mit ihrem gebrochenen Herzen mehr als willig, sich in die Arbeit zu vertiefen. Also hatte Mickey ausnahmsweise einmal Zeit, sich um die Familie zu kümmern. Wir redeten darüber, dass wir das Haus neu einrichten wollten. Er kaufte mir kiloweise schicke Designerzeitungen für Inneneinrichtung und meinte, ich dürfe die Farben ganz allein bestimmen. Er kutschierte mich mit dem Baby in die Stadt und ließ mich im Modetempel Harvey Nichols edle Klamotten einkaufen. Er gab ein Vermögen aus, während er mit Louis auf den Knien da saß und mir zusah, wie ich Kleid um Kleid, Rock um Rock probierte – lauter Sachen, die mich im Grunde überhaupt nicht interessierten. Aber ich wusste, dass jetzt nicht der Zeitpunkt für Proteste war. Dies war nun mal Mickeys Art, mir eine Liebeserklärung zu machen.
Über Agnes sprachen wir nur ein einziges Mal. Ihre Leiche war nach Norwegen überführt worden. Eines Nachmittags meinte Mickey plötzlich, er würde gerne ihre Eltern anrufen, und fragte, ob mich das stören würde. Ich beschloss, mit Louis oben zu bleiben, während er am Telefon war. Ich wollte nicht zuhören. Dann kam er in Louis’ Zimmer, wo ich für meinen Sohn Bauklötzchentürme errichtete, die er stolz mit einem Schlag niederstreckte.
»Alles okay?«, fragte ich, denn Mickey sah ganz bleich aus.
»Sie sind am Boden zerstört. Verständlicherweise.«
Lieber Himmel, überall diese ewige Trauer. Ihre extreme Verzweiflung war es ja gewesen, die allen so viel Kummer verursacht und für mich ein so bittersüßes Ende gebracht hatte.
»Mickey«, sagte ich leise. Er starrte aus dem Fenster, die Hände tief in den Taschen seiner Jeans verborgen.
»Mmmh?«
»Warum hast du dich noch einmal mit Agnes getroffen?«
Er drehte sich um und sah mich überrascht an. »Wieso? Wann?«
»Das weiß ich nicht. Wann auch immer.«
»Ich sagte dir doch, Jessica, das war nur ein einziges Mal. Sie kam, um mir einige Papiere zur Unterzeichnung vorzulegen.«
Wieder stapelte ich einen bunten Stein über den anderen, wobei ich genau darauf achtete, dass die Kanten schön ausgerichtet waren. »Ist das wirklich wahr?«
»Ja, natürlich.«
»Und warum hast du damals nichts davon erzählt?«
»Weil …«, seufzte er und fuhr sich mit den Fingern durch das dichte Haar. »Weil ich wusste, dass es dir nicht passen würde.«
»Und woher wusstest du das?«
Er zuckte fast unmerklich mit den Schultern. »Na gut, ich habe es einfach angenommen.«
»Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte davon gewusst, und du hättest nicht versucht, es vor mir geheim zu halten.«
Er beugte sich zu mir herab und küsste mich auf die Stirn. »Gut. Es tut mir leid. Jetzt weiß ich ja Bescheid.«
Dabei beließen wir es.
Robbies Beerdigung fand ein paar Tage später statt. Es war die schlimmste Erfahrung meines noch jungen Lebens, wenn man von der Zeit absieht, in der Louis weg war. Es war sogar schlimmer als die Beerdigung meines Vaters, als meine Mutter so betrunken war, dass sie auf ihren hohen Absätzen am offenen Grab gefährlich schwankte. Man musste ihr zu Hilfe eilen, damit sie nicht hineinfiel. Im Krematorium schluchzte ich über Louis’ Köpfchen, als Robbies Sarg ein für alle Mal hinter den grimmig aussehenden roten Vorhängen verschwand. Ich stellte mir vor, dass mein kleiner Bruder nun frei war. Wie er mir im Park hinterhergelaufen war, bis wir beide lachend ins Gras fielen, wie wir im Abendlicht auf dem Bauch lagen und versuchten, Melodien auf Grashalmen zu pfeifen, wie wir uns die Hügel hinunterrollen ließen, blinzelnd in die Sonne starrten und unsere Flasche Limo so einteilten, dass sie den ganzen Tag über reichte. Dann fiel mir Agnes ein, ihr zerstörter Körper, der Tausende Kilometer entfernt in die kalte Erde gebettet wurde. Ich drückte Louis an mich und weinte so heftig, wie ich noch nie geweint hatte.
Am Tag vor unserem Urlaub kochte ich für
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