Morgen früh, wenn Gott will
sehen.
Leigh machte ein Aufhebens um ihn, das mich sofort auf die Palme brachte. Ich goss mir mehr Kaffee ein. Meine Augen fühlten sich heiß und sandig an, als der Beamte mir zulächelte. Dabei faltete er seine gebrauchte Serviette akkurat zusammen. Das Lächeln fiel ein wenig schief aus, als sei er durch die gemessenen Bewegungen des Faltens abgelenkt.
»Das Au-pair-Mädchen?«, fragte er höflich und legte die Serviette säuberlich vor sich auf den Tisch. Ungeduldig wartete ich, bis er einen Streifen Kaugummi ausgewickelt hatte. Und da frage ich mich noch, wieso Sie mir letzte Nacht schon auf die Nerven gingen!, dachte ich bei mir. »Maxine Dufrais – ist sie da? Ich würde gerne mit ihr sprechen.«
Ich warf einen Blick auf seinen Teller, der vollkommen sauber war. Dann sah ich Leigh fragend an. Sie errötete: »Auch Eier, Jess?« Sie wandte sich dem Herd zu. Ich schüttelte den Kopf. Der Gedanke an Essen rief bei mir sofort wieder Übelkeit hervor.
»Ist Maxine schon wach?«, fragte ich und versuchte, den Stapel von Louis’ Lätzchen zu übersehen, die ordentlich gefaltet auf der Anrichte lagen. Leigh schob sich, so gut es ging, davor. »Ich habe nichts von ihr gehört.«
Ich ging in den Flur hinaus, um Maxine zu rufen. Wenigstens entkam ich dadurch Silvers höflichem, aber nichtsdestotrotz prüfendem Blick. In meinem Kopf trieben Nebelschwaden. Unwillig hatte ich registriert, dass meine Schwester mit diesem Fremden in meiner Küche flirtete. Doch dann dachte ich an Louis und wie sehr ich diesen Fremden brauchte und kämpfte mein Missfallen nieder.
Maxine rührte sich offensichtlich nicht. Ich stieg ins nächste Stockwerk hinauf und rief noch einmal. Schweigen. Auf meinem nackten Fuß balancierend, spähte ich durch die Wendeltreppe ein Stockwerk höher. Von diesem Punkt aus konnte ich ihre Schlafzimmertür im obersten Stockwerk erspähen. Sie stand einen Spalt weit offen.
»Maxine«, rief ich nochmals. Nichts. Brummelnd stieg ich die letzte Treppe hinauf.
Sie war nicht da. Der Raum roch muffig, das Bett war nicht gemacht. Nur Gott wusste, wann sie zum letzten Mal die Bettwäsche gewechselt hatte. Hier oben war es jetzt schon recht stickig, dabei zeigte die Uhr auf dem Nachttisch erst acht Uhr morgens. Wenn sie nicht aufstehen musste, um mir zu helfen, verschlief Maxine hier den halben Tag. Offensichtlich war sie letzte Nacht aus gewesen. Ich zog die Vorhänge zurück und stieß die Dachluke auf, um ein wenig Luft hereinzulassen. Ein Unterteller mit Zigarettenkippen stand draußen auf dem Fenstersims. Vermutlich von einem ihrer Freunde. Mickey würde einen Wutanfall bekommen, wenn er hier wäre; es war ein Teller aus seinem exklusiven Thomas-Goode-Service. Mit gerümpfter Nase nahm ich den Unterteller von dem daruntergeschobenen Monatskarten-Etui, das aussah wie ein Plastikheftchen. Der Kunststoff war voller Tau, und so wischte ich es an meinem Morgenmantel ab und legte es auf den kleinen Tisch unter dem Fenster. Als ich mich umdrehte, um wieder hinunterzugehen, fiel mein Blick auf etwas, das mir den Magen umdrehte. Das Plastikheftchen war heruntergefallen. Heraus fielen verschiedene Passfotos. Alle von meinem Sohn.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte ich die Treppe hinab, wobei ich die Fotos wie eine Trophäe schwenkte und sie dem Polizisten hinhielt. Dabei stammelte ich etwas über das Mädchen, das ich in meinem Haus willkommen geheißen hätte.
Ruhig studierte Silver die Fotos. Ich begann, an meinem Daumen zu nagen. Dann zog er die beiden Fotos heraus, die beide zeigten: die grinsende Maxine mit ihrer flachen Nase im Profil, wie sie mein Baby hielt, und Louis in grün-weiß gestreiftem Anzug, der mit großen Augen ziemlich überrascht in die Kamera starrte.
»Sie ist sein Au-pair-Mädchen. Und vermutlich mag sie ihn. Schließlich ist er ein süßer Junge. Warum sollte sie mit ihm keine Fotos machen?«
»Und warum versteckt sie sie dann? Sie hat Hunderte Fotos von Louis. Ihr Ex hat ihr eine todschicke Digitalkamera gekauft.
Warum sich also die Mühe machen, Louis in einen dieser Passfotoautomaten zu schleppen?«
Unmerklich zuckte Silver mit den Schultern. »Wer sagt, dass sie versteckt waren? Haben Sie Grund, Maxine zu verdächtigen? Letzte Nacht haben Sie davon nichts gesagt.«
»Eigentlich habe ich keinen Grund. Aber … nun ja, immerhin ist sie jetzt nicht da.«
»War sie schon früher nachts weg?«
Einen Augenblick lang überlegte ich, dann nickte ich verdrießlich. »Ja. Mit
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