Morgen früh, wenn Gott will
ich sauer. Schließlich hatte der Frust fünf lange Jahre Zeit gehabt, sich in mir anzustauen.
»Du hast doch am Telefon zu mir gesagt, du bist im Ausland. Du hast behauptet, die Nachrichten via Satellitenfernsehen gesehen zu haben.« Sorgsam goss ich den Orangensaft ein und musterte ihn unauffällig. Ich hatte so lange an seinem Verschwinden herumgekaut, dass ich nun einfach nicht wusste, wie ich mich dem zurückgekehrten Robbie gegenüber verhalten sollte. Wenigstens sah er zerknirscht drein und ließ mir sein zauberhaftes, angedeutetes Lächeln zukommen, das für ihn so typisch war. Der Effekt allerdings litt ein wenig unter der Tatsache, dass einer seiner Vorderzähne fehlte.
»Nun ja, man weiß ja nie, wer so zuhört, oder?«
»Ach nein. Zum Teufel, Rob. Das ist die wirkliche Welt, kein Film von Quentin Tarantino.«
»Quentin wer?«
»Du weißt schon. Pulp Fiction?«
»Ach ja. Die wirkliche Welt also? Lieber Himmel, Jess, dein Leben ist im Moment dramatischer als meines es je war.«
»Das mag schon sein, aber das war bestimmt nicht meine Entscheidung.« Ich schluckte das kühle Nass hinunter. Da war so vieles, was ich ihn fragen wollte, so vieles, was mir durch den Kopf schoss, dass ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Also entschied ich mich für eine ganz simple Frage: »Robbie, du Bastard, wo zum Teufel hast du denn die letzten fünf Jahre gesteckt?«
Er zuckte mit den Schultern, setzte sich wieder und drückte die Kippe in einer Untertasse aus. Shirl kam herein und schrie auf. »Mein Gott, Robbie, was hast du nur mit dir angestellt, Junge?« Sie schnalzte mit der Zunge. »Du siehst aus, als könntest du ein Bad brauchen.« Schnüffelnd sog sie die Luft ein. »Du riechst auch so. Hast du hier etwa geraucht?«
Ich grinste. Meine Freundin Shirl war die beste Mutter, die man sich nur wünschen konnte.
»Sag mal, denkst du nicht dran, dass deine Schwester Asthma hat? Hast du kein Gehirn, Mensch?«
»Freut mich, dich zu sehen, Shirl.« Er hob die Arme, als wolle er sich einem Revolverhelden ergeben. »Tut mir leid. Ich schwöre, ich werde es nicht mehr tun.«
»Das wäre auch besser für dich.«
Mit erhobener Stimme begann Robbie: »Ich werde es …«
Mit einem Blick brachte Shirl ihn zum Schweigen. Ich wandte mich wieder zu meinem kleinen Bruder um und versuchte, mein Herz zu wappnen. Denn wo Robbie war, gab es früher oder später Ärger.
»Ahm, was sagte ich doch gleich: Was willst du hier eigentlich?« Ich setzte mich neben ihn an den Tisch, wobei ich nicht aufhören konnte, ihn anzustarren. »Leigh wird aus allen Wolken fallen, das weißt du doch, oder?«
»Ach, Jess, Herzchen, jetzt sei doch nicht so.« Er schenkte mir seinen traurigen Babyblick, und natürlich musste ich lächeln. »Ich habe dich vermisst. Und Leigh auch.« Auch ich hatte ihn vermisst, manchmal ganz schrecklich, doch er hatte es nicht verdient, das jetzt schon zu hören. Auch wenn er darauf spekulierte, unser lieber Robbie. Sehnsucht nach der guten, alten Zeit und so. Doch mit einem Satz zerstörte er diesen Moment wieder. »Ich mache mir schließlich Sorgen um meinen Neffen.«
»Rob, du hast deinen Neffen noch nie gesehen. Ich bezweifle sogar, dass du überhaupt gewusst hast, dass du Onkel bist, bevor du die Nachrichten gesehen hast. Nicht wahr?«
Er hatte genug Anstand, um nicht zu lügen, und sah mich unschuldig an. Er drehte einen seiner Ohrringe aus dem Loch und wieder zurück. »Aber ich wusste, dass du verheiratet bist.«
»Wirklich? Woher?«
»Das hat mir wahrscheinlich Mama gesagt.«
»Wann hattest du denn mit Mama geredet? Sie hat mir nie davon erzählt.«
Ich sah ihn an, und er schenkte mir seinen besten Schafsblick.
»Nur einmal. Vielleicht hat sie ja vergessen, es dir zu erzählen.«
»Es vergessen?« Wütend starrte ich ihn an. Doch im Grunde wusste ich nicht, wen ich jetzt wofür bestrafen sollte, also ließ ich es sein – zumindest für den Augenblick. »Also«, versetzte ich, »wieso bist du wirklich hier?«
»Ich wollte helfen.«
Ich verzog das Gesicht. Robbie hatte in all den Jahren immer nur sich selbst geholfen. Er gehörte zu jenen Kindern, die Fliegen zwar nie selbst die Flügel ausreißen, aber daneben stehen und zuschauen, wenn die anderen es tun. Ich seufzte matt. »Ich weiß dein Angebot zu schätzen, Rob, aber ich glaube nicht, dass du mir hier großartig helfen kannst. Ich muss nur einfach meinen Sohn finden.«
»Nun ja, ich kann dir doch suchen helfen, oder?«
»Robbie,
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