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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Nerven?«
    Mickey war ziemlich ablehnend, wenn es um Fernsehen ging. Es sei so banal und geistlos, meinte er. Nur etwas für Hirntote. Und so hatte ich schon lange nicht mehr ferngesehen.
    Und so landeten wir wieder bei der Seifenoper. Ich starrte auf die Mattscheibe und die blonde Schlampe, die sich mit ihrem Stiefvater auf und davon gemacht und ihre Kinder zurückgelassen hatte. Herzlose Kuh. Ich kaute an meinem Daumennagel. Dann fiel mir etwas ein.
    »Ich werde ein paar Plakate von Louis drucken lassen. Mit dem Aufdruck ›Vermisst‹.« Dieses Wort schoss durch meinen Schädel wie die Kugel in einem Flipper. Schluss damit. Ich sprang auf.
    »Du meinst so etwas, was Leute an Laternenpfeiler kleben, wenn ihre Katze verschwindet?«, meinte Shirl verwirrt. »Daran hat die Polizei doch sicher gedacht, Liebes?«
    »Aber Louis ist keine Katze, Shirl.« Ich zog die Schublade auf, in der wir die Fotos aufbewahrten.
    »Das habe ich doch nicht gemeint, Dummchen. Ich helfe dir, oder? Ich suche schon mal einen Stift.«
    Ein sündteures Fotoalbum fiel zu Boden. »JUNGE« stand in großen goldenen Lettern drauf. Ich hatte es nach meinem zweiten Ultraschall gekauft, als klar war, dass ich und Mickey einen Jungen erwarteten. Ich hatte den Fuß meines Babys gesehen, der sich durch die virtuellen Lüfte eines Bildschirms bewegte, und das erste Aufkeimen der Liebe gespürt. Ich hatte mich von Mickey verabschiedet, der wieder ins Büro musste, und mich aufgemacht, in einschlägigen Läden herumzustöbern. Ich gab ein Vermögen für Babysachen und Strampler aus. Daheim versteckte ich dann alles und erwartete aufgeregt die Geburt meines Sohnes. Bis der postnatale Ansturm der Hormone mir eins überbriet und ich ins Schleudern kam.
    Ich nahm das Album in die Hand. Ich hatte noch nicht ein Bild von Louis eingeklebt. Irgendwie hatte ich nie auch nur eine Sekunde freie Zeit. Die ganzen Babyfotos steckten irgendwo im Bücherregal. Wieder stellten sich die altbekannten Schuldgefühle ein. Dieses Mal, weil ich das kurze Leben meines Sohnes nicht ordnungsgemäß dokumentiert hatte. Wieder hatte ich ihm gegenüber als Mutter versagt. Ich biss die Zähne zusammen und suchte ein jüngeres Foto hervor, um dann in den Anblick seines ernsten Gesichtchens zu versinken. Auf dem nächsten spuckte er voller Begeisterung eine Himbeere in die Kamera. Auf diesen Trick war er so stolz gewesen.
    Schließlich kam Maxine nach Hause, begleitet von ihrem Latino-Boyfriend. Er brachte sie zur Tür und saugte längere Zeit an ihr herum, bevor er zum Wagen zurückschlenderte. Eine mir unbekannte Nationalflagge flatterte aus dem Rückfenster. Zorn übermannte mich. Ich hatte Maxine nicht gesehen, seit ich die Bilder in ihrem unaufgeräumten Zimmer gefunden hatte.
    Als ich sie aufschließen hörte, schoss ich in den Flur hinaus. Maxine sah mich und fixierte mich wie ein seltsames Tier, das sie noch nie gesehen hatte. Bildete ich mir das ein, oder schien sie jetzt wirklich nervös?
    »Warum hast du diese Fotos gemacht, Maxine?«, fragte ich.
    »Fotos? Was für Fotos?«, fragte sie ratlos zurück.
    »Die Passfotos von Louis. Die du in deinem Zimmer versteckt hast. Was hast du mit ihm gemacht?« Und ich begann zu schreien, zusammenhanglos, weil ich mich in ihrer Gegenwart so oft unfähig gefühlt hatte, weil sie mir das Baby so oft aus den Armen genommen und Louis in diesem Moment zu strahlen angefangen hatte, weil sie ihre langen Beine absichtlich vor meinem Mann zur Schau gestellt hatte. Ich schrie sie an und legte all die Schuld, den Schmerz und die Momente hinein, in denen ich nicht wusste, was ich mit Louis anfangen sollte. Und sie, sie sah mich einfach nur an, als sei ich verrückt geworden. Als mir die Luft ausging und ich zu schreien aufhörte, sagte sie ganz ruhig: »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Warum sollte ich keine Fotos machen? Wir waren einkaufen, und ich habe diesen Automaten gesehen. Ich wollte ein Bild von mir und le bébé. Ich wollte es nur für mich. Weil ich ihn gern habe.«
    Ich starrte Maxine an, wie sie mich angestarrt hatte, als sie hereingekommen war, und wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Sie hatte ihn wirklich gern. Ich hatte es in ihren Augen gelesen und war fast verrückt geworden vor Eifersucht und Angst, aber andererseits war dies auch der Grund gewesen, weshalb ich sie bleiben ließ, warum ich mich mit Mickey angelegt hatte, der sie loswerden wollte. Ich brauchte ihre Erfahrung, ihr gelassenes Wissen. Ich hatte das Gefühl, Louis

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