Morgen früh, wenn Gott will
trug einen kurzen Rock, der ihre spindligen Beine sehen ließ, und zog sich den Reißverschluss ihrer Trainingsjacke zu. Als sie an den Mann im Liegestuhl stieß, lachte sie hohl, offensichtlich völlig fertig.
»Alles in Ordnung, Herzchen?«, fragte er, während er ihren knochigen Hintern tätschelte und dabei zu den anderen Männern hinsah – doch mein Bruder und sein Gefährte hatten mittlerweile das Interesse verloren und gingen ins Haus. Noch ein junger Mann näherte sich. Sein Gesicht war bleich und pickelig. Er hatte die Arme um sich geschlagen, als würde er trotz der enormen Hitze frieren.
Ich nahm nicht an, dass ich dort mein Kind finden würde. Die Verzweiflung war in der stehenden Luftmasse fast mit Händen zu greifen. Ich wusste, dass die Jungs hierhergekommen waren, weil sie Drogen brauchten. Hinter mir versuchte der kleine, dicke Hund immer noch, den Gummiring vom Baum zu holen. Sein andauernder Misserfolg machte ihn allmählich rasend.
Ich wollte gerade verschwinden, als eine junge Schwarze mit Zöpfchen um die Ecke des Hauses kam, in dem mein Bruder verschwunden war. Sie hatte ihren MP3-Player um und wiegte den Kopf zur Musik, die aus ihren Ohrhörern drang. Sie schob einen nagelneuen Kinderwagen vor sich her, obwohl sie kaum vierzehn sein konnte. Sofort spürte ich, wie meine Anspannung stieg. Mein Herz schlug so laut, dass ich mich fragte, ob es etwa zu hören war. Ich versuchte, einen Blick auf das Baby zu erhaschen, doch der Wagen war leer.
Das Mädchen steuerte auf die Wohnung zu, in der Robbie verschwunden war. Der Typ im Liegestuhl verschlang sie mit den Augen, während sie auf ihn zuhielt – der flache Bauch unter dem knallgelben Bikinitop, die tanzenden Goldkettchen auf der ebenholzfarbenen Haut. Die fette rosarote Zunge hing ihm fast bis zum Boden hinab, wo sich Kippen und Bierdosen ein Stelldichein gaben. Sie verschwand im Eingang, ich hörte sie klopfen, dann schlug die Tür hinter ihr zu. Ich begann zu laufen. Ich wusste, dass das Kind hier war, mein Kind. Ich lief schneller, als ich je gelaufen war, so schnell, als hinge mein Leben, hinge Louis’ Leben davon ab. In wenigen Sekunden hatte ich den Liegestuhl-Typen umrundet.
»He!«, brüllte er, aber ich war schon an der Tür, einer enormen Metalltür, und hämmerte drauflos. Ich ballte die Hände zu Fäusten und schlug damit auf die Tür ein, wobei ich Robbies und Louis’ Namen schrie. Der alte Schnitt an meiner Hand platzte auf, Blut lief mir übers Handgelenk. Ich hämmerte unverdrossen weiter.
»Robbie«, schrie ich, »lass mich rein, du Arschloch. Ich weiß, dass Louis da drin ist. Lass mich verdammt noch mal hinein.«
Der Liegestuhl-Typ tauchte hinter mir auf, gerade als ich vernahm, dass drinnen jemand den Riegel zurückschob. Er griff nach meiner blutüberströmten Hand und hielt sie fest, doch in diesem Moment stand mein Bruder vor mir, umgeben vom Sonnenlicht, das durch ein winziges Toilettenfenster hinter ihm drang. Er war von einer Lichtaureole umgeben wie einer der Heiligen auf mittelalterlichen Glasfenstern. Wie der Erzengel Gabriel auf den Darstellungen der Verkündigung, dachte ich wirr. Mir würde er jetzt verkünden, wo mein Kind war. Ich öffnete weit die Arme.
»Lieber Himmel, Jess!« Er streckte die Hand aus und packte mich am Handgelenk. Dann sah er das Blut. »Was zum Teufel hast du mit ihr angestellt?«, zischte er den Typen hinter mir an.
»Nichts. Er war es nicht«, ächzte ich. Ich taumelte vorwärts und stolperte. »Ist Louis hier? Wo ist Louis?«
Robbie schlug die Tür hinter mir zu und sperrte den anderen aus. »Halt endlich den Mund, du verrücktes Huhn«, fauchte er mich an. »Reiß dich doch mal zusammen.«
Das schwarze Mädchen tauchte im Flur auf.
»Wo ist mein Baby?«, schnaufte ich, um Atem ringend. »Was habt ihr mit meinem Baby gemacht?«
Sie bleckte die Zähne. »Stopf deiner Verwandtschaft gefälligst das Maul, wenn sie solches Zeug von sich gibt«, zischte sie Robbie an.
Ich riss mich los und rannte an dem Mädchen vorbei in das Zimmer am Ende des Flurs. Dort hingen Betttücher über den Fenstern, um das Licht fernzuhalten. Zwei Fenster waren mit Brettern vernagelt. Keine Möbel, nur ein bis zur Decke reichender Stapel Schachteln mit nagelneuen DVD-Playern, in der Ecke eine alte, fleckige Matratze. Durch die Wand kam Musik aus dem angrenzenden Zimmer. Der Kinderwagen stand mitten im Raum. Als ich mich darauf zubewegte, glitt das Mädchen an mir vorbei und drückte etwas fest an
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