Morgen ist der Tag nach gestern
erwähne das, weil Marion meine zweite Frau und nicht die leibliche Mutter von Daniel und Simon ist
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Wieder sieht er zum Fenster hinaus. Er weiß noch, dass er eine merkwürdige Mischung aus Gerührtheit und Stolz empfand. Er hatte diesen Augenblick nur flüchtig genossen, kaum wahrnehmbar, so wie man einen leichten Wind an schwülen Tagen dankbar, und doch gleich wieder vergessend, hinnimmt.
Die Kinder gingen um halb acht aus dem Haus. Miriam trödelte und Simon schnappte sich kurzerhand ihren Tornister und ging damit zum Auto. Daniel hatte das Auto schon angelassen, als Marion noch mal hinauslief und Miriams Butterbrotdose durch das Beifahrerfenster reichte. Dann fuhren sie vom Hof. So wie sie es immer getan hatten
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Der Vormittag war dann wie tausend andere verlaufen. Ich wartete natürlich auf Daniels Anruf, mit dem er mir das erlösende „Bestanden“ mitteilen sollte. Aber es machte mich nicht unruhig. Ich hegte keine Zweifel
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Meine Frau räumte den Frühstückstisch ab und ging in den angrenzenden Hauswirtschaftsraum. Ich hörte, wie sie die Waschmaschine befüllte und das Radio einschaltete. Die nächsten drei Stunden verbrachte ich im Büro mit Buchführung und geschäftlichen Telefongesprächen
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Gegen elf Uhr rief Daniel an und sagte genau das, was ich erwartet hatte. „Bestanden, Papa! Bestanden mit Eins! Damit bin ich jetzt der Beste meines Jahrgangs!“ Ich gratulierte ihm und ging hinüber ins Haus, um es Marion zu sagen. Sie umarmte mich, als hätte ich diese Prüfung gemacht, und eine Minute später war sie damit beschäftigt, wie wir das gebührend feiern könnten. Daniel würde in die Firma einsteigen! Ein Grillfest mit allen Mitarbeitern. Heute Abend mit der Familie schick essen gehen. Eine Überraschungsparty! Sie sprudelte nur so vor Ideen
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Er legt den Stift auf die Schreibunterlage. Das war einer dieser glücklichen Momente gewesen. Sie mit geröteten Wangen, damit beschäftigt, Daniel einen unvergesslichen Tag zu schenken. Sein Vaterstolz.
Während wir lachend ein Fest planten, hatten wir keine Ahnung, dass es keine Feste mehr geben würde
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Während wir uns fröhlich eine heile Zukunft vorstellten, hatte sie bereits begonnen, aber ganz anders, als von uns erträumt
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9
Die Fußgängerzone ist noch ohne Kunden. Der Ständer mit den Sonderangeboten steht schon draußen neben dem Schaufenster. Auf der Scheibe ist in blauen, verspielten Buchstaben „Uschi’s Boutique“ zu lesen. Gegenüber stellt Helmut Wolters seine Werbetafel auf den Platz. Grillfleisch bietet er an, fertig mariniertes Grillfleisch und hausgemachte Bratwurst.
Er hebt die Hand. „Morgen Uschi.“ Sie grüßt zurück, indem sie ihren Gehstock kurz anhebt. „Morgen Helmut. Hast du’s schon gehört?“
Helmut Wolters kommt über den Platz.
„Wat meinste?“
„Das Sommerhaus vom Horstmann ist abgebrannt. Heute Morgen in aller Frühe“, sie schüttelt den Kopf, „bis auf die Grundmauern runtergebrannt.“
„Tja, dad bleibt ja nich aus, bei der Hitze. Ne kleine Unvorsichtigkeit und schon …!“ Er zieht die hohe Stirn unter den rötlichen Stoppelhaaren kraus. „War en schönes Haus. Aber der is bestimmt gut versichert. Kannste froh sein, dass bei dir nix passiert is. Passiert schnell. Grad bei so ’nem Wetter.“
Ursula Zech nickt. „Mein Frank hat sich da ja um alles gekümmert. Den Garten bewässert und gelüftet und so. Der Horstmann weiß ja noch von nix. Ich denk mal, so schön wie das ist, mit diesen alten Rieddächern. Aber die brennen eben auch schnell. Und wenn die Hitze sich so staut …!“
Zwei junge Männer schieben die hohen Glasschiebetüren des Kaufhauses neben Uschis Boutique zur Seite und rollen Kleiderständer hinaus.
„Meine Wäsche hat draußen gehangen. Alles versaut. Das muss die Versicherung doch auch zahlen, oder?“
Eine junge Frau liest aufmerksam Wolters Angebotstafel.
„Auf jeden Fall. Dad is ja ’n Schaden, der von dem Brand gekommen is. Also“, er geht mit großen Schritten auf seinen Laden zu. „Gute Geschäfte.“
Sie hört, wie er die Kundin anspricht. „Morgen, gnädige Frau …“
Uschi schiebt die Ladentür auf. Im hinteren Zimmer hört sie Christa, ihre Angestellte hantieren.
„Morgen Christa, ich bin es“, ruft sie zeitgleich mit der Glocke, die Kundschaft ankündigen soll. Christa kommt mit einem Teppichmesser bewaffnet in den Verkaufsraum.
„Tach Uschi. Die ersten Lieferungen mit Winterware sind da. Die können wir doch bei den Temperaturen
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