Morgen ist der Tag nach gestern
seinen Trieben nachzugehen?“
Joop zuckt mit den Schultern. „Gute Frage. Vielleicht brauchte er nicht nur die Bilder, sondern auch eine – wie sagt man das – spartanische Umgebung.“
28
Als er die Augen öffnet, ist der Schmerz in der Brust und in seinem linken Arm nur noch ein milder Druck. Er schaut auf seine Uhr. Drei Stunden sind vergangen und er spürt Bedauern. Er bedauert sein Erwachen. Er blickt hinaus in den heißen Tag. Hier im Büro ist es angenehm kühl und er kann die Hitze da draußen nur erahnen. Daniel müsste schon zurück sein und sich hingelegt haben, so wie er selber es früher auch immer getan hat.
Er steht vorsichtig auf. Eine leichte Benommenheit ist noch da. An der Spüle füllt er den Wasserkocher und gibt drei gehäufte Löffel Kaffee in den Glaszylinder. Das kochende Wasser gießt er auf das Pulver und lässt es einige Minuten ziehen. Dann legt er den Deckel auf, schiebt mit dem Sieb den Kaffeesatz auf den Boden der Glaskanne und schenkt sich einen Becher voll ein.
Am Schreibtisch zurück, liest er die letzten Sätze noch einmal und nimmt den Füllfederhalter wieder auf. Er versucht sich zu erinnern, was er damals empfunden, was er gedacht hatte, als Lailas Mutter am Telefon von diesem Mann sprach. Es war keine Freude gewesen und doch, es hatte ihn ins Leben zurückgezogen. Nicht in seine alten Bahnen, nicht in den vertrauten, ersehnten Rhythmus, sondern in einen anderen, fremden Takt. Eine Art Fieber. Jagdfieber!
Laila war mit ihrer Mutter in einem Schnellimbiss gewesen und dort hatte sie den Mann gesehen. Sie hatte ihre Mutter darauf aufmerksam gemacht und die hatte sich das Kennzeichen des roten Mazdas aufgeschrieben, mit dem er davon gefahren war. Sie hatte die Information an die Polizei gegeben und wollte, dass ich auch Bescheid wisse
.
Ich telefonierte mit Yildiz, der schon eine Stunde später zurückrief und die Halterin des Wagens nannte. Simone Remmers, Adresse, Telefonnummer und Beruf. Hostess! Ich war für einen kurzen Augenblick überrascht und fragte ihn, wie er so schnell an diese Information gekommen sei. Er murmelte irgendwas von Kontakten und geschuldeten Gefallen. Ich fuhr sofort hin
.
Es war der vierte November, ein kalter Nieselregentag. Der Mazda stand in einem Ortsteil von Goch, der Straßenzug um Straßenzug mit den gleichen vierstöckigen, sandsteinfarben
verputzen Häusern bebaut ist. Alle mit diesen winzigen Balkonen, die nicht mehr begehbar sind, wenn man die Seitenflügel des Wäscheständers ausklappt. Frischluftkäfige von der Größe eines halben Hundezwingers
.
Beim dritten Haus am zweiten Eingang fand ich den Namen. Ich ging zurück zu meinem Wagen und wartete
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Er greift nach seinem Kaffeebecher und trinkt. Stundenlang hatte er in seinem Auto gesessen. Er hatte Hunger gehabt, sich aber nicht getraut wegzufahren. Wenn er gerade dann herauskommt und wegfährt, hatte er gedacht.
Schon gegen vier brannte an diesem trüben Tag in den meisten Wohnungen Licht. Er hatte versucht herauszufinden, welche Fenster wohl zur Wohnung der Remmers gehörten. Er hatte gefroren und zweimal waren ihm die Augen zugefallen. Gegen 22:00 Uhr war er unverrichteter Dinge nach Hause gefahren.
Auf dem Heimweg war ihm die Idee gekommen. Er hatte schon lange nicht mehr bei der Polizei nachgefragt. Er könnte nachhaken, ob es inzwischen etwas Neues gäbe. Schließlich wusste er genau, dass es etwas gab.
Am nächsten Vormittag rief ich auf der Wache an. Ich wurde mit einer Frau verbunden, die jetzt zuständig war. Nein, sagte sie, nein nichts Neues. Ich hörte wie sie blätterte. Dann sagte sie: Es hat einen Hinweis auf einen Wagen gegeben. Die Halterin ist überprüft. Es kann kein Zusammenhang hergestellt werden
.
Ich nahm eine Thermoskanne und Brote mit und parkte wieder vor dem Haus
.
Gegen Mittag bestieg eine Frau den Wagen, Mitte dreißig in engen Jeans, auf hohen Schuhen. Ich folgte ihr
.
Ich folgte ihr zehn Tage lang. Sie fuhr zum Supermarkt. Sie ging in Cafés. Sie fuhr zu Privatadressen. Sie ging zum Friseur und zur Kosmetikerin. Sie fuhr nach Hause. Und von
mittwochs bis sonntags fuhr sie ins „Livingroom“, eine kleine Bar an der Landstraße. Immer nur sie, an keinem Tag bekam ich einen Mann zu Gesicht
.
Am vierzehnten November, nachts hatte es den ersten Bodenfrost gegeben, beobachtete ich die Bar an der Landstraße. Es war kalt und ich entschloss mich, hinein zu gehen
.
Er nimmt die Kaffeekanne und gießt sich nach. Das Koffein belebt ihn. Er
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