Morgen ist der Tag nach gestern
nur Teilnahmebescheinigungen!“ Sie funkelt ihn an.
Er weicht ihrem Blick aus, geht zum Kühlschrank, holt den vorbereiteten Auflauf heraus.
Er hat keine anderen Vorlagen gefunden. Er hätte sich auch lieber Zeugnisse mit guten Noten gemacht, aber dafür hatte er keine Vorlagen gefunden. Er hatte das Logo der Volkshochschule hineinkopieren müssen und das alleine hatte schon viel Zeit in Anspruch genommen.
Warum war sie nie zufrieden? Warum konnte sie seine Arbeit nicht würdigen?
„Frank!“ Sie quiekt. „Ich rede mit dir!“
Er zieht die Frischhaltefolie von der Auflaufform und schaltet den Backofen ein. „So ist das nun mal bei solchen Kursen, Mutter. Man kriegt keine Zeugnisse wie in der Schule. Man kriegt immer nur Teilnahmebestätigungen.“
Sie schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. „Das glaube ich dir nicht.“ Sie dreht sich mitsamt dem Stuhl herum. Ein spitzer Schmerz schießt durch ihr Bein.
Er spürt ihren Blick im Rücken. Nicht diese Stimme! Bitte nicht mit dieser Stimme!
Sie hebt an. „So was gab es früher auch. Hat teilgenommen, hieß das damals und das war eigentlich die schlechteste Bewertung, die man kriegen konnte. Hier steht doch nur, dass du da warst!“ Sie atmet Verachtung aus.
Er schiebt den Auflauf in den Ofen. „Nudelauflauf mit Gorgonzola überbacken. Den magst du doch so gerne.“
„Frank!“ Sie greift nach ihrem Stock und stößt die Spitze mehrmals auf den Boden. „Sieh mich gefälligst an.“
Er muss noch Petersilie schneiden. Frische Petersilie gehört oben über den Auflauf gestreut. Langsam dreht er sich um.
„Mutter, heute ist das so. Gib die Zeugnisse Christa. Glaub mir!“ Er spricht sanft. Er will sie besänftigen.
Sie atmet schnaubend. „Wehe dir! Wehe dir, wenn das nicht stimmt. Ich habe diese Kurse bezahlt. Wenn da irgendwas nicht stimmt, will ich mein Geld zurück.“
Der hohe Ton zerrt an seinem Kopf. Er muss noch in den Garten und ein wenig Petersilie schneiden.
Wieder dreht er ihr den Rücken zu und öffnet die Schublade mit den Messern.
Nein, jetzt darf er keine Kerbe in die Arbeitsplatte ritzen. Jetzt nicht. Jetzt muss er hinausgehen und Petersilie holen. Jochen ist tot, Horstmann ist tot, warum kann sie nicht auch tot sein.
Er presst die Zähne fest aufeinander.
Nein, das hat er nicht gedacht. Nein, nein, nein! So was hat er nicht gedacht. So was würde er nie denken. Die Fenster sind wunderbar sauber.
Eine angebrochene Flasche Cola Light steht neben der Spüle. Sie hat das getan. Sie hat die Flasche aus dem Kühlschrank genommen und nicht wieder zurückgestellt.
Er sieht das benutzte Glas in der Spüle. Er saugt geräuschlos, stoßweise Luft in seine Lungen.
Sie hat es nicht mal ausgetrunken.
Er hört ihre Stimme, hört den Ton. Am Glasrand kann er die rosa-fettige Spur ihres Lippenstiftes erkennen.
Sie hat es nicht abgespült, sie hat es nicht in den Schrank zurückgeräumt. Sie hat die Flasche nicht in den Kühlschrank gestellt. Er muss Petersilie schneiden.
Er hört die Stimme, er hört die Worte nicht.
Er muss in den Garten, sich niederknien und die feinen Halme mit den kleinen grünen Büscheln am untersten Rand abschneiden. Direkt über der Erde muss man sie schneiden, dann wachsen sie nach. Er muss das Glas spülen, er muss die Flasche in den Kühlschrank stellen, er muss das Glas in den Schrank räumen.
Plötzlich ist sie still.
Seine Schultern entspannen sich. Er bückt sich und sieht durch das Fenster des Backofens nach dem Auflauf. Er nimmt das Küchenmesser und dreht sich um. „Ich hole noch ein bisschen Petersilie. Gleich können wir essen!“
Er lächelt ihr zu. Sie sieht ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
Sie flüstert. „Frank, was ist bloß los. Irgendwas stimmt doch nicht. Junge, sag mir doch, was los ist.“
„Du musst dein Colaglas auswaschen, Mutter. Es zieht Ungeziefer an. Fliegen und Wespen. Und du musst die Cola wieder zurück in den Kühlschrank stellen. Sie wird warm. Dann schmeckt sie nicht mehr.“
Er spricht freundlich, wie man zu einem Kind sprechen würde. Dann läuft er mit großen Schritten auf die Tür zu. „Ich hole Petersilie und dann decke ich den Tisch. Es wird dir bestimmt schmecken.“
30
Joop widmet sich, kaum dass sie angekommen sind, dem Computer. Böhm setzt sich an seinen Bildschirm und sichtet die aktuellen Vermisstenanzeigen. Er hat die Fotos von Lembach noch nicht vorliegen.
Vielleicht würde er die Mädchen, ohne die von Betäubungsmittel hohlen Augen,
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