Morgen ist der Tag nach gestern
gar nicht wiedererkennen. Wie alt mochten sie sein? Ungefähr zwölf, schätzt er. Aber er kann sich auch irren. Vielleicht sind sie jünger. Vielleicht waren sie gar nicht von hier? Sie hatten beide eher orientalisch ausgesehen. Vielleicht kamen die Bilder aus dem Ausland? Schon wenn sie aus Holland waren, wäre das ein riesiger Verwaltungsaufwand, der Zeit kosten würde. Viel Zeit.
Er geht die vermissten Kinder in Nordrhein-Westfalen durch. Das letzte Jahr! Das vorletzte Jahr.
Die Bilder könnten schon älter sein.
Die letzten fünf Jahre!
Er findet sie nicht. Es ist inzwischen ein Uhr dreißig.
Die Unruhe, die in diesem Keller nach ihm gegriffen hat, will sich nicht auflösen. Was macht er hier? Was versucht er?
Er geht zum Fenster, zieht den Sichtschutz hoch und stößt das angelehnte Fenster weit auf. Er stützt sich auf der Fensterbank ab und sieht hinaus auf den Marktplatz.
Die Laternen gießen orangefarbenes Licht auf die Pflastersteine. Wie glühend liegen sie unter den Ulmen. Trockenes Laub liegt auf dem Platz. Unbewegt. Ein schwüles Vakuum. Wir leben unter einer Hitzeglocke, geht es ihm durch den Kopf. Hier scheint plötzlich alles zu gedeihen.
Er schiebt seine Brille auf die Stirn und fährt sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Dann schüttelt er den Kopf.
So geht das nicht. Sie würden die Bilder gleich morgen früh an die Kollegen der Sitte weitergeben. Die hatten ihre Spezialisten für Internetpornographie.
Seine Aufgabe war es, aufzuklären was sich vor zwei Tagen in dem Haus abgespielt hatte. Natürlich konnte es einen Zusammenhang geben, aber sie waren im Grunde erst am Anfang. Es konnte noch etliche andere Motive geben.
Mit einem kurzen Ruck stößt er sich von der Fenster-bank ab und geht zur Kaffeemaschine. Sie würden so bald nicht nach Hause kommen. Kaffee wäre gut.
Wie passte das alles zusammen? Vielleicht hatte Joop Recht mit der spartanischen Atmosphäre. Aber irgendetwas war darüber hinausgegangen. Was war es gewesen? Wenn Horstmann die Bilder aus dem Internet hatte, konnten sie überall auf der Welt aufgenommen worden sein. Was mach-te ihn so unruhig?
Joop steht in der Tür. „Oh, hab ich doch richtig gerochen! Lecker Kopje Coffe!“ Er schenkt beiden Kaffee ein und reicht Böhm eine Tasse.
„Also eins können wir ausschließen. Mit dem Computer ist niemand im Internet gewesen. Er enthält die üblichen Programme, die beim Kauf meistens dazugehören. Lediglich ein aufwendiges Bildbearbeitungsprogramm ist zusätzlich installiert worden. Der Rechner ist ungefähr anderthalb Jahre alt und die Dateien sind immer sofort gelöscht worden. Maar, ich finde die Pfade wohl! Die kann ich alle zurückholen.“
Böhm hat ihm aufmerksam zugehört.
„Das heißt, er hat die Bilder nicht aus dem Internet?“
„Doch, das kann. Aber er hat sie nicht über diesen Rechner geholt. Lembach sagt, oben war auch einer. Außerdem kann er sie per Post gekriegt haben. Das ist sowieso viel beliebter. Die Leute meinen immer, dass so was alles übers Internet läuft, aber das ist nicht so. Die Userkreise ja. Das heißt, die Kontakte werden über das Netz gemacht. Aber die Ware geht über die Post. Nichts ist so anonym wie die Post!“
Böhm trinkt den Rest Kaffee aus, spült die Tasse unter fließendem Wasser ab und stellt sie kopfüber auf ein Geschirrhandtuch.
„Was war dein Eindruck in diesem Keller? Sag mal, was du dort gesehen hast.“ Er setzt sich auf die Schreibtischkante und sieht Joop an.
„Ein Keller mit großem Wasserschaden. Ein Computer, ein zusammengeklapptes Bett. Ein Drucker, teuer Fotopa-pier. Der Bildschirm auf dem Boden. Geweißte Wände, eine schwere Eisentür mit Riegel. Teppich …
„Stopp!“ Böhm nickt ihm langsam zu. „Eine schwere Eisentür mit Riegel. Der Riegel? Kannst du dich erinnern, ob der von außen oder von innen zu schließen war? Haben wir schon Fotos?“
Joop denkt eine Augenblick nach. „Von außen. Man kann die Tür nur von außen verriegeln.“
Die Informationen, wie Horstmann an die Bilder gekommen sein konnte, hatten Böhm etwas beruhigt. Aber jetzt macht sich aufs Neue diese Unruhe breit, die er schon den ganzen Abend in sich trägt und die er versucht beiseite zu schieben. Eine Unruhe, die er kennt. Eine Unruhe, die er immer dann verspürt, wenn er ahnt, dass die Dinge noch nicht zu Ende gedacht sind. Wenn er ahnt, dass das was da noch kommt, ihn überfordern könnte.
Er ruft Lembach an, der immer noch am Tatort ist.
„Bernd, die
Weitere Kostenlose Bücher