Morgen letzter Tag!
Hirnen vielleicht, mutmaßlich bekokst, aber menschlich. Und das in ständiger Interaktion mit den gemutmaßten Bedürfnissen der Massen, die unablässig von Trendforschern bedröhnt werden, um ihre Geheimnisse preiszugeben. Psychiater und Soziologen erforschen also ständig unsere Vorlieben und deren Mechanismen, um uns in der Folge erfolgreich Wünsche einzupflanzen, die uns dann wiederum zum Kaufen animieren. Ein Vorgang, der in letzter Zeit immer besser funktioniert– Google sei Dank. Ein in sich geschlossenes System, das auf – wenn auch asymmetrischer – Wechselseitigkeit beruht. (Asymmetrisch deswegen, weil Google ja geringfügig mehr über einen weiß als man selbst, alldieweil wir über Google kaum etwas wissen.) Und was ist schon die Stasi gegen Google und Facebook? Dilettanten! Kein Witz. Die Werbemaschine geht tatsächlich mit Ihnen und mir ein viel intimeres Bündnis ein, als es bislang etwa für Staaten notwendig war. Und dabei schafft es die Wunschmaschine, die für ihr Funktionieren notwendige Illusion der Freiheit und Freiwilligkeit aufrechtzuerhalten. Was schwierig ist– und auch wieder nicht: Denn eigentlich mögen wir unseren komplexen Grad an Freiheit nur in Sonntagsreden, in Wirklichkeit aber überhaupt nicht. In Wirklichkeit suchen wir immer nach größeren Zusammenhängen, in die wir uns einordnen können: die Clique, der Verein, die Mode, die Religion, die Nation etc. Dort machen wir, was alle machen, und geben unsere Freiheit an der Garderobe ab. Wobei man uns das aber eben nie sagen darf, dass wir unsere Freiheit drangeben. Sonst bekommen wir Atemnot. Im Gegenteil, man muss uns sagen, wir würden eben genau dadurch frei, dass wir unsere Freiheit aufgäben. Was freilich totaler Blödsinn ist– aber wir wollen das so. Und die Wunschmaschine des Kapitalismus hat das bislang am besten hingekriegt. Wir lassen uns einreden, wir wären nur dann frei, wenn wir genau das tun, was die Werbestrategen als Verhalten für uns vorhergesehen habe, nämlich kaufen.
Ich kaufe, also bin ich.
Was genau?
Glücklich.
Wir sollen instantan glücklich werden, indem wir ein Produkt kaufen. Das ist das implizite Versprechen der Wunschmaschine.
Wobei aber der total glückliche Konsument, der bleibend glückliche Konsument, in dem System nicht vorgesehen ist, nicht vorgesehen sein kann, denn der würde aufhören zu kaufen, weil er ja glücklich ist. Der Zustand des Glücks zeichnet sich ja dadurch aus, dass man nichts mehr braucht. Dann aber wäre man kein Konsument mehr.
Für den praktisch veranlagten Aristoteles war das Streben nach Glückseligkeit ( eudaimonia ) der Antrieb zu moralischem Handeln schlechthin. Aristoteles ging davon aus, dass jeder immer nach dem Glück sucht. Das ist Ziel aller Handlungen. Nur, was genau ist das Glück? Aristoteles diagnostizierte, das Glück suche man immer in dem, was man gerade nicht hat.
Glück ist das, was fehlt.
Abb. 8: Sie ahnen das vermutlich nicht, deswegen bin ich behilflich. Aber das, was auf diesem Bild dargestellt ist, ist gelogen.
Und so will der Kranke Gesundheit, der Arme Reichtum, der Alte Jugend, der Hässliche Schönheit und so weiter. Wenn man aber nun nach einem beständigen Zustand des Glücklich seins fahndet, dann muss das ein Zustand sein, in dem einem eben nichts mehr fehlt. Aristoteles’ Antwort auf die Frage, wie dieser Zustand zu erreichen sei, ist einfach: Man muss das werden, was man ist.
Einen Zustand der eudaimonia, worunter wohl in Neusprech so etwas wie Lebenszufriedenheit zu verstehen wäre, findet man, wenn man sich die anthropologischen Grundbedingungen des Menschseins ansieht. Was sind wir?
Erstens, sagt Aristoteles, » politische Tiere«. Also Gemeinschaftswesen. Die Gemeinschaft erzeugt uns, also können wir auch im Aufgehen, ja, im Sich-Aufopfern für diese Gemeinschaft glücklich werden.
Die andere Besonderheit des Menschseins findet Aristoteles in seinem eigenen Beruf: im Denken. Der Mensch ist auch ein » denkendes Tier«. Deswegen kann er Glück dann eben auch in der Kontemplation finden. Totaler Bürger ( polites ) oder totaler Denker (Philosoph), das sind die beiden Möglichkeiten, um das Gefühl des ständigen Mangels abzuschaffen, weil man seiner Daseinsbestimmung folgt.
Geht das heute auch noch? Unter einem polites würden wir heute wohl einen Gutmenschen verstehen. Also einen Idioten. Lustig, war doch zu Aristoteles’ Zeiten der idiotes (Privatmann oder Individualist) derjenige, der eben genau kein polites sein
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