Morgen letzter Tag!
Sehnsuchtsapparate mitunter danebenliegen. Eine Allmacht der Wunschmaschine droht also noch nicht?
Tja. Das Raffinierte am kapitalistischen Glücksapparat ist, dass er um seine Schwächen weiß und es versteht, daraus Stärken zu machen. Überlegen Sie mal: Von dem immerwährenden Anspruch, glücklich zu sein, sind wir in einen Zustand ständiger Erschöpfung geraten. Allenthalben machen sich Überdruss und Unlust breit. Das ständige Wechseln der Identitäten erzeugt wiederum die Sehnsucht nach einer (be)ständigen Identität. Die Tatsache, dass unsere Aufmerksamkeit immerzu und unaufhörlich von neuen Beglückungsvorschlägen abgelenkt wird, versetzt uns in einen Zustand der immerwährenden Oberflächlichkeit. Unser Aufmerksamkeitsspektrum ist breit, aber seicht. Der Philosoph Byung-Chul Han diagnostizierte, wir seien eine Gesellschaft mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom), die sich aber beständig weigert, ihr Ritalin zu nehmen.
Um all die Angebote der Werbung und alle möglichen gleichzeitigen Lebensentwürfe, in die wir uns werfen sollen, ständig im Blick zu behalten, versuchen wir unserer Welt mit Multitasking beizukommen. Der Konsument nimmt die Welt wieder so ähnlich wahr wie seine Säugetiervorfahren am Wasserloch. Auch da musste das Fluchttier vieles gleichzeitig im Blick behalten. Wo ist der Fressfeind? Wie platzieren sich die anderen Mitglieder der Herde? Was bedeutet diese Platzierung für meine Position im sozialen Ranking? Wo sind mögliche Geschlechtspartner? Die Aufmerksamkeit ist also breit, aber nicht tief. So ähnlich beäugt der Konsument seine Welt, immer auf der Suche nach dem billigsten und besten Angebot, nach alternativen und besseren Lebensimages. Bietet uns doch die Werbung in den seltensten Fällen noch Produkte an, wir bekommen ganze Lebensentwürfe offeriert.
Das Rasierwasser, das dynamisch und erfolgreich macht.
Die zuckerfreie Brause, die dafür sorgt, dass die Welt so ist, wie sie sein soll. (Also mit zero Belästigungen!)
Die Schokolade für die gute und sorgsame Mutti, die nicht nur ihre Kinder, sondern auch mal sich selbst belohnt.
Das Deo, das Frauen anzieht wie Müll Fliegen.
Die Brille, die einen dahingehend bestätigt, dass der gesamte Lebensentwurf, den man gewählt hat, richtig und harmonisch ist.
Diese und noch unzählige Lebensentwürfe mehr sollen wir am besten gleichzeitig wegleben. Was freilich nicht geht. Aber zumindest soll man versuchen, so viele Leben wie möglich in das eigene hineinzupacken. Deswegen bleiben von den vielen möglichen Leben (als Abenteurer, Frauenheld, Vamp, Forscher(in), Hausfrau und Mutter, smarter Manager(in) etc.) schlussendlich immer nur das dazugehörige Kostüm und der Habitus. Beide sind schnell aufgetragen und ebenso schnell ausgewechselt. Man soll immer disponibel bleiben.
Alles Oberfläche.
Also bekommen wir Sehnsucht nach Tiefe. Dazu aber müsste man sich für irgendeine der Beglückungen entscheiden. Eines der Dilemmata unserer Tage. Denn sobald man sich für eine entscheidet, weiß man, dass man was anderes versäumt.
Vielleicht was Besseres? Vielleicht was Besseres.
Unser Leben gipfelt immer wieder in der zweifelnden Frage: Gibt es noch einen besseren Handy-Vertrag als meinen? Die Antwort lautet vermutlich Ja. Deswegen versuchen wir, einfach alles irgendwie gleichzeitig hinzukriegen, um nur ja nichts zu versäumen. Was aber schon wieder zu ständiger Ermüdung und Infarktgefahr führt. Also was tun?
Die unzähligen Ratgeberbücher wissen Bescheid. Wir müssen sie nur kaufen. (Lesen kann man sie auch, aber da muss man schon sehr verzweifelt sein. Immerhin, wenn man sich auf ein Ratgeberbuch einlässt, versäumt man ein anderes. Mit besserem Rat?) Und darin finden wir dann den Rat, dass Konsum generell vielleicht doch keine so gute Idee sei, es ginge um etwas anderes. Liebe, Atmen, Amen, was auch immer. Das Wichtigste aber ist: Wir müssen uns finden. Und wenn man nicht weiß, wie das gemeint sein könnte, dann geht man einfach auf ein kapitalismuskritisches Selbstfindungsseminar und sucht sich. Unter Anleitung freilich. Vielleicht in einem schicken Wellnesshotel. Und selbstverständlich am Wochenende. Die Arbeitszeit soll nicht angetastet werden. Kostet halt ein paar Tausend Euro, aber das sind wir uns wert. Überhaupt ratgebern die Ratgeber unablässig, wir sollen uns selbst wertschätzen, nur um zu erreichen, dass wir, um diese Erkenntnis zu verinnerlichen, jede Menge Geld zahlen müssen. (Wie heißt
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