Morgen letzter Tag!
Hervorbringung eines » neuen Menschen« war, die Humoristen von der Bildfläche verschwunden sind. Der Humor lähmt das revolutionäre Pathos, weil er vom Imperativ des » Nicht-Gelingens« ausgeht.
An ihre Grenzen aber gerät diese Haltung freilich, wenn sie mit schmerzhaftem existenziellem Leid konfrontiert wird. Wird man Zeuge von Ungerechtigkeit und Grausamkeit– und wie sollte man das im Medienzeitalter vermeiden?–, dann wird der Witz schal. Oder man muss sich in die weinerliche Haltung des Zynikers flüchten.
Dennoch bin ich der Überzeugung, dass die humoristische Haltung ein geeignetes Instrumentarium bereithält, um auf das Problem des Daseins zu reagieren. Denken wir an dieser Stelle kurz an Marx. Freilich sollte man generell länger über Marx nachdenken, aber hier genügt kurz.
Karl Marx hatte in »Das Kapital« seine soziale Umwelt aufschlussreich und kundig analysiert. Doch als er des Leids der geknechteten Arbeiterschaft ansichtig wurde, genügte ihm, ganz der emphatische Mitmensch, diese Analyse nicht mehr. Er prägte den Satz: » Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.« Damit aber widersprach er seinem Grundprogramm, das ihm seine Analyse erst ermöglicht hatte und das vorhersagte, dass sich die gesellschaftlichen Veränderungen nicht durch Revolution, sondern durch einen evolutiven Prozess » von selbst« einstellen würden.
Doch Marx will Revolutionär sein, um sich besser zu fühlen. Da wird kein Vorwurf draus. Immerhin war der Grund für eine revolutionäre Haltung überall evident. Obszöne Ausbeutung, Kinderarbeit, Knechtschaft durch Armut. Nur, das Ergebnis waren Lenin, Stalin und Mao. Und mit ihnen unmenschliche Diktaturen, die die Ungerechtigkeiten des in der industriellen Revolution befindlichen Englands oder Deutschlands noch weit in den Schatten stellten. Wir lernen: Mit einer fatalistischen Philosophie, die in einer Tradition von Denkern wie Spinoza, Nietzsche, Foucault oder Dürrenmatt steht, kommt man zu brauchbaren Erkenntnissen, aber nicht zu einem revolutionären Programm. Dazu muss man ein idealistisches Programm erstellen, das zum Beispiel einer Utopie nachjagt. Das Problem dabei: Idealistische Programme sind zwar emotional durchaus befriedigend, aber leider nicht richtig. Und auf der Basis von falschen Überlegungen zu einem richtigen Ergebnis zu kommen ist nicht leicht. Obwohl, auch auf der Basis von richtigen Überlegungen kommt man nur schwer zu richtigen Ergebnissen. Aber man darf sich dann vielleicht ganz persönlich für sich die Freiheit nehmen, über seinen Misserfolg zu lachen.
Dieses Buch hat also zweierlei Funktionen. Auf der einen Seite geht es darum, dem Debakel Welt gegenüber eine existenzielle Haltung zu gewinnen, die auf Beschönigungen verzichten kann und dennoch nicht in Verzweiflung mündet. Auf der anderen Seite aber steckt da wohl immer noch die aufklärerische Hoffnung drin, Sie mögen sich doch nicht vom humoristischen Fatalismus anstecken lassen, sondern trotzig nach Lösungen suchen, die ich nicht sehen kann. Obgleich ich dem Prinzip Hoffnung gegenüber doch sehr skeptisch bin (siehe »Zugabe«).
Denn bevor man handlungsfähig werden könnte, müsste man zunächst eine große Schwierigkeit überwinden: Unglauben.
Wenn ich, besonders in der Wiesn-Zeit, artig in Spaßtracht gewandete Mitmenschen durch die Straßen meiner schönen Stadt wanken sehe und am unsteten Blick ihrer geröteten Augen erkenne, dass sie weder wissen, wo sie sind, noch genau, wer sie sind, und wenn ich dann beobachte, wie diese so vom Fun Gebeutelten auf den Grünstreifen reihern oder ihre biergefüllten Blasen an Hauswänden erleichtern, dann kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass das alles bald ein Ende haben soll. Es mag seltsam erscheinen, aber gerade das Schwanken der Wiesn-Opfer lässt den Boden, auf dem sie schwanken, umso sicherer erscheinen. Es ist dieses blinde, blöd gesoffene Vertrauen, das ansteckend ist. Wäre Gefahr im Verzug, niemand würde sich so gehen lassen.
Abb. 10: Rosl: »Was meinst Resl, jetzt speibt er gleich.« Resl: »Er hat doch schon g’spiebn.« Rosl: »Ja, ja. Halt noch mal.« Resl: »Ja, des kann sein.«
Und auch wer die sich ins Koma saufenden Minderjährigen betrachtet, der wird möglicherweise dem österreichischen Philosophen Robert Pfaller zustimmen und vermuten, hier ginge es zwar schon um Furcht, aber auf keinen Fall um Zukunftsangst. Eher um eine Furcht vor
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