Morgen letzter Tag!
den Zwängen des Ich, die so strikt sind, dass nur die völlige Selbstauflösung der Ich-Person im Alkohol das Loslassen von den strengen Forderungen des Dauerposierens erlaubt. Die Imperative der Gegenwart schrecken die Kinder. Die Zukunft ist kein Thema. Sie ist für sie ebenso bedrohlich wie für uns. Nämlich ausschließlich abstrakt. Geht man vorbei an rechtschaffenen Reihenhäusern und durch blank geputzte Fußgängerzonen, dann verrät nichts, dass das alles bald ein Ende haben könnte. Oder einen radikalen Daseins-Einschnitt verkraften müsste. Die Furcht vor dem Kommenden bleibt uns so nah-fern wie die Angst vor dem Tod. Auch die ist zwar unser ständiger Begleiter; aber eher wie ein stiller Gefährte. Kaum je meldet er sich zu Wort. Allzu oft verdeckt von den Geschäftigkeiten des täglichen Nahkampfs mit Alltagsbanalitäten, taucht die Todesfurcht nur selten und meist peripher am Blickfeldrand auf. Einen Einfluss auf unsere Lebensentscheidungen hat sie bei den meisten noch seltener. Falls uns der Arzt nicht gerade eröffnet hat, dass wir einen inoperablen Gehirntumor herangebildet haben, leben wir gewöhnlich so, als gäbe es kein Ende. Nicht, dass wir von unserem Tod nichts wüssten, wir haben ihn nur schon eingepreist. Jedes Memento mori verdampft in unverbindlichem: » Ja, ja– weiß schon.« Und ebenso verhält es sich mit der Metakrise. Auch von der haben wir gehört und halten das Gehörte sogar für wahr, nur eben nicht für so wahr, dass wir von kassandrischer Hysterie befeuert durch die Straßen laufen würden, um » Feuer« zu rufen. Auch hier eben nur » ja, ja, schon schlimm, aber…«.
Lauschen wir einem Gespräch zwischen Fritz Glunk, dem Herausgeber der lesenswerten Zeitschrift »Gazette«, und Franz-Theo Gottwald, dem Dozenten für Politische Ökologie an der Hochschule für Politik in München und Vorstand der Schweisfurth-Stiftung (»Gazette«, 31 / 2011 ).
Glunk: Die Lage wird aber nicht rosiger. Im Gegenteil: Wir scheinen zu erleben, dass in wenigen Jahren mehrere Krisen gleichzeitig auftreten: die andauernde Finanzkrise, eine Klimakrise, eine wachsende Weltbevölkerung, Ressourcenknappheit, die Energiekrise, steigende Lebensmittelpreise. Wie will ein mit durchschnittlichen geistigen Fähigkeiten ausgestatteter Politiker mit all dem gleichzeitig fertig werden, falls er nicht einfach das tut, was jeder Mensch tut, wenn eine zu große Bedrohung auf ihn zukommt: Er schließt die Augen?
Gottwald: Das ist leider das, was wir derzeit konstatieren müssen. Wir haben ein » Overstressed-System«. Das Thema Burn-out, das in persönlich-privaten oder auch in beruflichen Kontexten so vermehrt auftritt, ist ein Anzeichen dafür, dass das System insgesamt, also diese globale Form des Wirtschaftens, der Ausbeutung von Ressourcen (auch, hart ausgedrückt: der Ressource Arbeitskraft), auf ein– man kann es kaum mit einem präziseren Bild ausdrücken– » Ausgebranntsein« zusteuert. Was uns bleibt, ist ein » muddling through«, ein Durchwursteln, und ich kann das nicht einmal jemandem verdenken.
Die Komplexität der wechselseitigen Abhängigkeiten ist einfach zu groß geworden. Dabei haben wir vom Anstieg des Meeresspiegels, dem Abschmelzen der Gletscher, dem Auftauen der Permafrostböden noch gar nicht gesprochen. Einerseits hat uns Wissenschaft geholfen, dies alles diagnostizieren zu können, andererseits ist die Wissenschaft grosso modo ungeeignet, Lösungen zu produzieren. Deshalb entwickelt sie ja auch immer wieder verschiedene Szenarien und streitet kräftig über deren Bedeutung.
Glunk: Aber das Zusammentreffen der genannten Krisen in einem zeitlich recht überschaubaren Rahmen ist doch wohl kein Szenario, sondern ein sicheres Eintreten, eine naturwissenschaftliche Entwicklung, die wir ja schon beobachten können.
Gottwald: Das ist richtig. Dieses Zusammentreffen wird wohl bis etwa 2015 stattfinden. Die meisten von uns wird es also treffen, und den Älteren bleibt kaum die Hoffnung, es nicht mehr erleben zu müssen. Ich halte auch James Lovelocks Prognose einer radikalen Bevölkerungsabnahme nicht für unrealistisch: Derzeit haben wir sieben Milliarden Menschen auf der Erde, im Jahr 2020 , sagt er, werden es noch 200 Millionen sein – oder lassen Sie es auch eine Milliarde sein. Die anderen kommen durch Unruhen um, durch Kriege, durch Epidemien, durch Klimaveränderungen – durch Zustände also, aus denen man nicht schnell genug emigrieren kann in Zonen, wo das Leben noch erträglich
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