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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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die Bronzestatue eines Mannes stand, der wie Karl der Erste aussah, es aber nicht war. Seine Schäfchen – Ant und die Familie eingeschlossen – machten in voller Lautstärke »Pst!« und kicherten anschließend vernehmlich, was ihnen den missbilligenden Blick einer vorübergehenden Aufsichtsperson eintrug.
    »Das hier ist nichts für uns«, sagte Ant, während der Stadtführer in heiserem Flüsterton Fragen der Gruppe beantwortete. »Wenn wir hier zu arbeiten versuchen, werden wir sofort rausgeschmissen.«
    »Was ist eigentlich mit mir?«, fragte Angel. »Was soll ich tun?«
    »Das zeige ich dir, wenn wir auf der anderen Seite hinausgehen«, antwortete Ant, der lange vor den anderen im Morgengrauen aufgestanden war und sich in der Stadt umgesehen hatte.
    Sie folgten dem Stadtführer über den Kies auf der Rückseite der Bodleian Bibliothek.
    Das Theater hieß Sheldonian und wurde von Universitätsangehörigen für schicke Partys benutzt. »Sir Christopher Wren hat es erbaut«, vertraute der Führer Dime an, den er für seinen aufmerksamsten Zuhörer hielt, »und mit den Köpfen römischer Kaiser geschmückt«, fuhr er fort. Auf dem Weg in die Broad Street beäugte Dime die Konterfeis, traute sich aber nicht zu fragen, ob die Köpfe echt waren.
    »Da drüben, das wird dein Arbeitsgebiet. Vor Blackwell’s.« Ant zeigte Angel das Geschäft.
    »Der weltbekannte Buchladen«, ließ sich der Stadtführer vernehmen.
    »Ein Stückchen links«, sagte Ant, »vor der schwarzen Tür. In einem sauberen weißen Kleid wirst du dort sehr hübsch aussehen und die Passanten an die Zerbrechlichkeit und Sterblichkeit menschlichen Lebens erinnern. Gren wird dich entsprechend schminken.«
    »Und was muss ich tun?«, fragte Angel zweifelnd.
    »Gar nichts«, erwiderte Ant. »Du musst nur dort sitzen. Die Leute werden dir Geld geben, weil sie sich schuldig fühlen.«
    »Folgen Sie mir bitte!«, rief der Stadtführer. Er ließ die Gruppe die Broad Street überqueren. Unmittelbar neben Angels schwarzer Tür blieb er stehen.
    »Wo führt diese Tür hin?«, erkundigte sich Angel.
    Der Führer hörte sie. »Nun, das ist eine hochinteressante Frage«, schwärmte er. »Gut, dass Sie sie gestellt haben. Das eigentliche College liegt um die Ecke in der Parks Road. Wir stehen hier sozusagen vor der Hintertür, und man würde uns vermutlich auch nicht einlassen: Nur die Dozenten haben einen Schlüssel zu dieser Tür. Wir Normalsterblichen müssen am Pförtner vorbei. Das College selbst ist eine ausgefallene Mischung aus den noch ursprünglichen mittelalterlichen Teilen, dem Clifford-Gebäude, und dem im achtzehnten Jahrhundert hinzugefügten New Quad. Dann gibt es noch einen eher langweiligen Komplex aus viktorianischer Zeit, der Arnold-Building heißt und heute als Studentenheim dient. Die ausgesprochen elegante Pförtnerloge stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert. Soviel ich weiß, besitzt das College eine sehr hübsche Gartenanlage und nicht zu vergessen die außergewöhnliche, sehr moderne Bibliothek für Leute ohne Höhenangst.«
    Damit wandte er sich einem seiner zahlenden Kunden zu, der ebenfalls eine Frage gestellt hatte. Beinahe hätte Angel die nun folgenden Erklärungen gar nicht mitbekommen.
    »Sie haben völlig Recht«, bestätigte der Stadtführer einem der Bildungsbürger, die einen Fünfer geopfert hatten, um alles Wissenswerte zu erfahren. »Das College wurde um vierzehnhundertzwanzig von Richard Clifford, damals Bischof von London, gegründet, verlor aber schnell an Bedeutung. Fünfzehnhundertsiebzig erfolgte die Neugründung durch den Kanzler der Universität und Liebhaber von Königin Elizabeth, dem Earl of Leicester. Das College ist nach ihm benannt. Leicester sorgte für ein entsprechendes Finanzpolster, und seither ist das College eines der reichsten der Universität.«
    »Wie war das? Wie heißt dieses College?« Angels Stimme klang merkwürdig.
    »Habe ich das etwa nicht gesagt?« Und mit dem Ausdruck eines Magiers, der ein besonders dickes Kaninchen aus seinem Zylinder zaubert, erklärte er feierlich: »Sie stehen vor dem Leicester College.« Er unterbrach sich. »Sagen Sie mal«, wandte er sich an Ant, »geht es Ihrer kleinen Freundin vielleicht nicht gut?«
    »Keine Sorge«, gab Ant zurück. »Sie übt nur schon einmal für ihren neuen Job.«
    Angel hatte sich vor der schwarzen Tür auf den Boden gleiten lassen, und es wurde deutlich, dass sie Grens Schminkkünste nicht brauchte: Ihr Gesicht war von einem geradezu

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